Genug nachhaltig produzierte, gesunde Nahrungsmittel auch in der Zukunft. Diese Garantie möchten die Befürworter der «Ernährungssicherheit»-Vorlage in der Verfassung verankern. Da sich aber dieser parlamentarische Gegenvorschlag zur zurückgezogenen Initiative des Bauernverbandes als richtungsgebendes Gesamtpacket versteht, prallen die Vertreter von Einzelinteressen naturgemäss auf Ungereimtes.
Gespaltene Ja- und Nein-Lager
So kommt es auch in der «Arena» zu einer kuriosen Konstellation: Gegner wie Befürworter der Vorlage sind sich auch untereinander nicht einig. Am deutlichsten spiegelt sich dies in der Existenz von zwei verschiedenen Befürworter-Komitees.
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann vertritt dabei eine Haltung, die das Überleben einer gesunden Landwirtschaft mit der nachhaltigen Beteiligung an den internationalen Märkten verknüpft. Er versteht den Verfassungsartikel als ein agrarpolitisches Instrument, das die ganze Wertschöpfungskette umfasst, vom Acker bis auf den Tisch.
Die einzelnen Punkte des Verfassungsartikels
- Die landwirtschaftlichen Produktionsgrundlagen sollen gesichert werden, insbesondere das Kulturland.
- Die Produktion von Lebensmitteln soll den örtlichen Gegebenheiten angepasst und ressourceneffizient sein.
- Die Land- und Ernährungswirtschaft soll auf den Markt ausgerichtet sein.
- Die grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen sollen zur nachhaltigen Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft beitragen.
- Der Bund soll die Voraussetzungen für einen ressourcenschonenden Umgang mit Lebensmitteln schaffen.
Mit all diesen Punkten kann sich auch der Bauernverband identifizieren. Für dessen Präsidenten Markus Ritter handelt es sich bei der Vorlage um einen Meilenstein.
Zum einen trage die Vorlage die Bauern im Herzen, indem sie Produktionsgrundlagen und Kulturland sichere. Zum anderen breche sie der Nachhaltigkeit und der Marktliberalität eine Lanze, indem sie grenzüberschreitende Handelsbeziehungen befürworte. Dass das nach Spagat klingt, stösst nun gerade den Gegnern auf.
Rorschach-Test für Agrarpolitiker
Für den Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder steht fest: «Wenn der protektionistische Bauernverband und der liberale Wirtschaftsbundesrat das selbe wollen, muss man skeptisch sein.» Grünenfeld bezeichnet die Vorlage als «eine verfassungsrechtliche Haarspalterei».
Eine Landwirtschaft, die zu zwei Dritteln aus Subventionen finanziert sei, zeige, «dass wir keinen funktionierenden inländischen Agrarmarkt» hätten. Er plädiert daher für eine dezidiertere Öffnung des Marktes, als die Vorlge das vorsieht.
Ebenfalls dagegen ist der Präsident der Zürcher EDU, Hans Egli. Mit der Vorlage begebe sich die Schweizer Landwirtschaft «auf die Verliererstrasse», argumentiert Egli. Die Schweiz sei angesichts der hohen Produktionskosten schlicht nicht in der Lage, ökologisch nachhaltig und rentabel zu produzieren.
Der Politologe Michael Hermann erklärt mit seinem Votum diese grundsätzliche Uneinigkeit der Lager unter sich. Die Vorlage sei eine Art Rorschachtest für Agrarpolitiker. «Alle schauen hinein und sehen etwas anderes darin. Jede Seite will die Deutungshoheit», sagt Hermann in einer politologischen Einordnung des Begehrens. Auch die Berner GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy stösst in dieses Horn.
«Nice to have», aber wenig konkret
Es sei eine «Gruppentherapie des Bauernverbandes», zitiert sie einen ungenannten Journalisten und kann dem Bild durchaus etwas abgewinnen.
Laut einer OECD-Studie würden bäuerliche Subventionen nicht zu unternehmerisch denkenden Landwirten führen. Vielmehr würden sie dadurch «direktzahlungsmaximierend agieren». Die Vorlage stärke demgegenüber die Öffnung und Ausrichtung auf internationale Märkte.
Welchen Teilaspekt der Vorlage man auch in den Vordergrund rückt, letztlich wird eine Annahme der Initiative erst mittelfristig etwas ändern.
Von Moderator Jonas Projer nach den konkreten Wirkungen der Vorlage gefragt, räumt Bundesrat Schneider-Ammann ein, dass wohl in nächster Zeit keine handfesten Gesetzesänderungen zu erwarten seien.
Mit der Annahme der Vorlage seien aber die verfassungsrechtlichen Grundlagen einer nachhaltigen, ökologischen und welthandelskompatiblen Landwirtschaft geschaffen, so Schneider-Ammann.