Wer es kann, verlernt es nie mehr. Und trotzdem fahren in der Schweiz nur sieben bis acht Prozent der Bevölkerung regelmässig Velo. Der Gegenentwurf zur Velo-Initiative soll - nach Ansicht des Bundesrates - dazu beitragen, dass diese Zahl bald höher ist.
Kantone und Gemeinden unterstützen - oder bevormunden?
Bei einem Ja würde der Veloverkehr den Fuss- und Wanderwegen gleichgesetzt, die bereits seit bald 40 Jahren in der Verfassung verankert sind. Dass der Bund dabei planend und koordinierend zur Seite steht, hat sich laut Bundesrätin Doris Leuthard bewährt. «Die Kantone und Gemeinden sind froh um den Support oder die Expertisen, die sie beim Bund abholen können.» Schliesslich hätten gerade die Kantone und Gemeinden ein grosses Interesse daran, dass alle Verkehrswege sicher seien. «Da können wir ihnen behilflich sein, die Rolle des Bundes bleibt aber klar subsidiär.»
Diesem Versprechen kann Roland Rino Büchel (Nationalrat SVP/SG) nicht viel abgewinnen. Er findet es schlicht unnötig, dass der Bund hier mitmischen könnte. «Wir haben bereits ein hervorragendes Velowegnetz», gibt er zu bedenken. Die Kantone und Gemeinden wüssten am besten, welche Massnahmen vor Ort sinnvoll seien und machten ihre Arbeit ausgezeichnet. «Einen Einheitsbrei von oben herab brauchen wir nicht.»
Es gehe nicht darum, Verantwortlichkeiten umzumodeln, sondern um Koordination, entgegnet die Bundesrätin. Das sei für den Bund Alltagsarbeit. «Sogar bei den Kantonsstrassen sind nicht die Kantone ganz alleine zuständig.» Auch dort spreche man sich ab – und das funktioniere.
Auto, ÖV, Velo – Platz für alle?
Die echten Verkehrsprobleme würden durch «dieses Verfassungsartikelchen» aber keineswegs gelöst, kritisiert Jürg Scherrer (Alt Nationalrat Autopartei). Er glaubt auch nicht, dass es bei den budgetierten 1,5 Stellen, respektive 1,8 Millionen Franken jährlich, bleibt. «Da werden weitere Stellen beim Bund und den Kantonen geschaffen.» Zur Kasse gebeten würden am Schluss die Steuerzahler – oder die Autofahrer.
Matthias Aebischer (Nationalrat SP/BE) warnt davor, Auto- und Velofreunde gegeneinander auszuspielen. Die Zeit der Grabenkämpfe zwischen den Verkehrsteilnehmern gehöre der Vergangenheit an. Zudem seien die meisten Velofahrer gleichzeitig auch Autofahrer. «Es hat Platz für alle.»
Unterstützung erhält der Pro Velo-Präsident – auf den ersten Blick überraschend – vom TCS. Die Vorlage könne für Entflechtung sorgen, sagt Geschäftsleitungsmitglied Rudolf Zumbühl. «Wenn nicht alle auf der gleichen Strecke und auf gleiche Art von A nach B gelangen, verbessert dies Verkehrsfluss und Sicherheit.» Davon könnten alle profitieren, auch die Autofahrer.
Macht die Vorlage das Velofahren sicherer?
Ob die Vorlage tatsächlich für mehr Sicherheit sorgt, ist bei den «Arena»-Teilnehmern äusserst umstritten. Klar ist: 37 Velo- und E-Bikefahrer starben 2017 in der Schweiz. Die Zahl der verletzten und getöteten Velofahrer stieg in den letzten fünf Jahren gar um 25 Prozent.
Dass alleine der Verfassungsartikel an diesen Zahlen etwas ändert, ist für Manfred Bühler (Nationalrat SVP/BE) «eine Illusion». Vielmehr sei es wichtig, die Leute «zu erziehen», damit sowohl mögliche Velo- wie auch Autorowdys zur Räson gebracht würden. Sicherheit dank Entflechtung – dieses Anliegen der Befürworter macht zwar auch für den SVP-Mann Sinn. Doch: «Eine totale Entflechtung des Verkehrs ginge schnell in Milliardenhöhe.»
Der Veloverkehr und die Klimaziele
Uneinig sind sich die Debattierenden nicht nur in Sachen Sicherheit, sondern auch, inwiefern die Vorlage auch dem Erreichen der Klimaziele dient. Schliesslich muss die Schweiz laut Klimaabkommen den CO2-Ausstoss bis 2030 um die Hälfte verringern (im Vergleich zu 1990). Mit dem Kampf gegen CO2 könne man in der Schweiz allerdings keinen Verfassungsartikel rechtfertigen, wehrt sich Jürg Scherrer. «Da braucht es schon globale Lösungen.»
Immerhin könne die Schweiz eine Vorbildfunktion übernehmen, indem sie dem Veloverkehr und damit auch dem Umweltschutz und der Volksgesundheit einen höheren Stellenwert einräume, entgegnet Matthias Aebischer. Die angesprochene Vorbildfunktion nimmt Roland Rino Büchel gleich selber inne, wie er beschreibt: «Seit 50 Jahren fahre ich regelmässig und viel Velo – ohne dass mich der Staat je dazu animieren musste.»
Jeder solle sich so fortbewegen, wie er es für richtig halte, schliesst Bundesrätin Leuthard die Diskussion ab. «Freiheit im Verkehr für alle.» Wenn die Velowege durch die Vorlage aber besser koordiniert, sicherer und effizienter würden, sei das allemal sinnvoll.