Die direkte Bundessteuer macht rund 31 Prozent der ordentlichen Einnahmen des Bundes aus, die Mehrwertsteuer knapp 34 Prozent. 2016 nahm der Bund damit 43,5 Milliarden Franken ein. Ohne diese Steuereinnahmen kann der Staat seine Aufgaben nicht mehr wahrnehmen.
Im Parlament war man sich einig: Der Bund soll mit der «Finanzordnung 2021» weiterhin diese beiden Steuern erheben können. Widerstand gibt es nur von einer Kleinstpartei, der libertären Unabhängigkeitspartei (UP).
Die Schweizer Stimmberechtigten haben es also in der Hand, gewichtige Steuern an der Urne abschaffen zu können. Roland Eberle sagt dazu: «Wir können uns glücklich schätzen, die Schweiz ist das einzige Land, das darüber abstimmen kann, ob der Staat Steuern einziehen darf oder nicht.»
Silvan Amberg stellt dazu die Frage, «ob man will, dass diese Aufgaben vom Staat und dann noch vom Bund wahrgenommen werden sollen.» Die Unabhängigkeitspartei (UP) möchte viel mehr privatisieren, was nicht zwingend vom Bund gemacht werden muss oder von den Kantonen erbracht werden könnte. Zudem müssten Geldströme entflechtet werden: «Rund 33 Milliarden [des Bundesbudgets] sind Gelder, die herumgeschoben werden», sagt Amberg.
«Und wer bezahlt denn das, was ‹andere› übernehmen sollen?», hält Viola Amherd dagegen. Wenn Kantone mehr Aufgaben übernehmen sollten, müssten sie dafür auch die Finanzen erhalten und Steuern erhöhen dürfen. «Da wird das Ross am Schwanz aufgezäumt!»
Wenn die Steuern abgeschafft würden, bliebe dem Bund rund ein Drittel seiner Mittel, um seine absoluten Kernaufgaben zu erfüllen, sagt Simon Scherrer . «Für alles andere könnte man sich wirklich einmal grundsätzlich überlegen, ob das der Bund machen muss.»
Solidarität als Zwang?
Die Diskussion führt damit zum Zusammenhalt des Landes und dessen innere Solidarität. Gefährlich werde es, wenn man diese Solidariät übertreibe und mit Zwang durchsetzen will, argumentiert Amberg. Solange aber ein einzelner Kanton kein Recht habe, Nein zu sagen, sei das ein Zwang – auch wenn dies demokratisch entschieden worden sei.
Am Expertentisch muss Georg Kohler einen wichtigen Punkte klar machen: «Der Staat ist kein Club und kein Verein.» Für die Vertreter der UP seien Steuern so etwas wie Mitgliederbeiträge. Wenn mir aber die Mitgliedschaft stinkt und ich den Club wechseln will, geht das mit einem Staat aber nicht. «Man kann sich nicht einfach auskoppeln, weil der Staat nämlich etwas leistet. Er leistet die grundsätzliche Rechtsordnung und garantiert die Sicherheit von Eigentum, Strassen usw.»
Der Staat ist kein Club
Es gebe tatsächlich eine Zwangssolidarität in der Schweiz, wo der Staat eben kein Club sei, sondern wo man hineingeboren werde, erklärt Kohler. In einer solchen staatlichen Gemeinschaft, wo es einigermasen friedlich zugehe, habe jeder etwas davon.
«Diese Zwangssolidarität ist immer verknüpft mit einem langfristigen Interesse.» Man erwarte vom Bürger, nicht einfach ein Trittbrettfahrer zu sein und eben auch seinen Beitrag als Steuern zu leisten. Mit dieser Einsicht entstehe aus der Zwangssolidarität die Einsicht in die Notwendigkeit und man entrichte seinen Beitrag freiwillig.
Schutz der Minderheit vor der Mehrheit
Scherrer und Amberg würden ein grundsätzliche Problem ansprechen, attestiert Kohler der UP: Nämlich, was legitimiere eine Demokratie, dass die Mehrheit die Minderheit zwingen könne, also die «Diktatur der Mehrheit über die Minderheit».
Die UP möchte darum noch weiter gehen mit dem Ausbau des Schutzes von Minderheiten, sagt Amberg. Indem etwa föderalistische Elemente gestärkt werden sollen oder bei bestimmten politischen Fragen ein Austrittsrecht eingebaut werden soll.
Die Minderheit müsse sich fügen, betont Amherd, aber «wir haben in unserem Land die Kultur, dass man die Minderheiten besser berücksichtigt als man müsste».
«Aus dieser Debatte heraus hat die Schweiz die Konkordanz entwickelt», ergänzt Eberle. Und die Konkordanz führe auch dazu, dass die bestimmende Mehrheit durch die Machtteilung auch möglichst gut legitimiert sei.
In der Diskussion um Konkordanz und Subsidiarität wird auch Scherrer etwas patriotisch und gibt zu, das die Schweiz schon das Land sei, das den Ideen der libertären Unabhängigkeitspartei UP am nächsten komme.
Trotzdem möchte die Partei genau dieser Schweiz mit einem Nein zur «Finanzordnung 2021» zwei Drittel ihrer dafür nötigen Mittel wegnehmen. Scherrer meint dazu, weggenommen würden diese Steuereinnahmen in erster Linie dem Bund – denn möglichst viel sollte auf der tiefstmöglichen Ebene des Staats organisiert bleiben, bei den Kantonen und Gemeinden.