Natürlich gibt kein Alibikandidat zu, dass er einer ist. Man schwärmt von den Erfahrungen, die man machen konnte, von den Kontakten, die man geknüpft habe und stöhnt etwas über die vielen Interviews, die man geben musste oder durfte.
So auch SVP-Nationalrat Jean-François Rime: «Am Ende war ich todmüde. Ich glaube, ich wurde auch in der Deutschweiz bekannter und wäre ohne meine Kandidatur heute wohl nicht Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes.» Schliesslich sei er in der Geschichte des Verbandes der erste Westschweizer, dem dies gelungen sei.
Der Kampfkandidat, der nichts bereut
Die SVP machte den Freiburger damals aus taktischen Gründen zum Bundesratskandidaten. Zwei Mal sollte Rime als Kampfkandidat für seine Partei einen zweiten Bundesratssitz erobern, respektive der FDP und der SP einen Sitz abjagen. Erfolglos. Dass seine Aktion nicht gelingen würde, wusste der 68-Jährige. Er habe auch keine Siegesrede vorbereitet gehabt, meint er schmunzelnd.
Dennoch sieht er sich nicht als Alibi-Kandidat: «Ich habe es zwei Mal in die Schlussrunde geschafft.» Bei der Wahl von Johann Schneider-Ammann habe er im vorletzten Wahlgang Karin Keller-Sutter eliminiert; bei der Wahl von Simonetta Sommaruga Jacqueline Fehr. «Das waren ernstzunehmende Kandidaturen», sagt Rime. Diesmal werde es die heutige St. Galler Ständerätin Keller-Sutter aber schaffen, meint er.
Bei der FDP handelt es sich sicher um Alibikandidaten, denn Karin Keller-Sutter wird gewählt.
Falls das eintrifft, ist sie eine der wenigen, die im zweiten Anlauf gewählt werden. Ihre Mitbewerber, Regierungsrat Christian Amsler und Ständerat Hans Wicki, zählt Rime zu den Aussenseitern: «Bei der FDP handelt es sich sicher um Alibikandidaten, denn Keller-Sutter wird gewählt.»
Bei der CVP sei das schwieriger zu beurteilen, sagt Rime. Denn die seiner Ansicht nach bekanntesten Kandidaten – die Ständerate Konrad Graber und Pirmin Bischof – hätten bereits verzichtet: «Die CVP ist keine grosse Partei mehr. Also ist die Auswahl auch nicht so gross.» Oder anders gesagt: Wenn Favoriten absagen, wittern auch national unbekannte Politiker ihre Chance, ins nationale Rampenlicht zu kommen.
Präsenz markieren mit einer Kandidatur
Bekannt zu werden, sei ein wichtiges Ziel einer Alibikandidatur, daran sei nichts falsch, sagt Politwissenschaftler Andreas Ladner. So könnten sich Romands oder Tessiner den Deutschschweizern präsentieren oder kleinere Kantone dem Rest der Schweiz: «Wenn man sich in ein solches Rennen hineinbegibt, hat das auch etwas Heldenhaftes.»
Im Heimatkanton würden es die Leute schätzen, dass man es zumindest versuche, im Bundesrat vertreten zu sein – auch wenn die Wahlchancen nicht so gross seien. «Das kann einem auch sonst im Kanton helfen», schliesst Ladner.
Eine Kandidatur soll demnach bei der weiteren Politkarriere helfen. Zahlreiche Beispiele dafür gibt es allerdings nicht. Karin Keller-Sutter, die nach ihrer erfolglosen Bundesratskandidatur den Sprung vom Regierungsrat in den Ständerat schaffte, war damals bereits als St. Galler Justizdirektorin national bekannt.
Eher gibt es ehemalige Bundesratskandidaten, die danach politisch kaum mehr in Erscheinung traten. Etwa die St. Galler CVP-Regierungsrätin Rita Roos. Sie wurde in ihrem Kanton abgewählt und gab ihre Politkarriere auf. Auch die Berner FDP-Ständerätin Christine Beerli zog sich nach ihrer erfolglosen Bundesratskandidatur aus der Politik zurück. Von Alibikandidaturen kann man bei diesen Frauen aber nicht sprechen.
Auch die Parteien profitieren
Auch wenn Bundesratskandidaturen manchmal den Kandidaten nicht viel mehr bringen als Enttäuschung, ihre Parteien profitieren meistens, sagt Politikwissenschaftler Ladner: «Sie müssen bekannt machen, wie viele und wie viele gute, aussichtsreiche Kandidaten sie haben.» Damit könnten die Parteien in Medien und Öffentlichkeit Präsenz markieren: «Und das ist sehr wichtig für sie.»
Dass Parteien aber gleich mehrere Kandidaten präsentieren und somit auch Alibikandidaten, ist ein neueres Phänomen in der Schweiz. Erst seit die Frauen mitmischen und die Medien ganz wild auf Bundesratswahlen seien, wollen Parteien eine echte Auswahl anbieten, so Politologe Ladner.