Die Bergsteigerin Sophie Lavaud hat es als erste Schweizerin geschafft, alle 14 Berge über achttausend Meter zu besteigen. Für die Extrembergsteigerin Eveline Binsack ist das durchaus eine Leistung – sie sei aber nicht damit zu vergleichen, als die höchsten Berge noch ohne Sauerstoff und mit viel weniger Unterstützung der Sherpas bestiegen wurden.
SRF News: Wie schätzen Sie den Erfolg von Sophie Lavaud ein?
Evelyne Binsack: Ich gönne ihn ihr von Herzen. Es braucht sehr viel Willenskraft, Engagement und Sponsoren, um ein solches Ziel zu erreichen. Ausserdem ist das Ganze eine körperliche Herausforderung, denn die Achttausender sind nach wie vor gefährlich.
Die Achttausender haben nicht mehr dieselbe Anziehungskraft, wie das noch zu Reinhold Messners Zeiten gewesen ist.
Immerhin: Dank Fixseilen, Sherpa-Begleitung und Sauerstoffflaschen wird die Besteigung eines Achttausenders quasi zu einem Hochziehen an einem Fixseil. Was bleibt, ist die Exponiertheit am Berg und die Höhe. Trotzdem: Die Achttausender haben nicht mehr dieselbe Anziehungskraft auf Bergsteiger, wie das noch zu Reinhold Messners und Erhard Loretans Zeiten gewesen ist.
Immer noch sterben aber Alpinistinnen und Alpinisten an den höchsten Bergen – auch durch Lawinen. Sie bleiben also eine gefährliche Zone?
Der Berg bleibt so oder so gefährlich. Doch durch die Dienstleistungen der Sherpas und der Organisatoren ist der Berg einfacher geworden ist. Es sind nicht mehr die gleichen bergsteigerischen Grundvoraussetzungen notwendig, um einen Achttausender besteigen zu können wie früher. Ich finde das schade.
Wie gross ist der Unterschied, ob ein Achttausender mit Zusatzsauerstoff oder ohne solchen bezwungen wird?
Der Unterschied ist frappant. Ich selber habe am Mount Everest am letzten Tag auch Sauerstoff benutzt. Heute aber benutzen die Bergsteiger dort teilweise schon ab Lager 2 auf 6900 Metern zusätzlichen Sauerstoff.
Heute muss man eher von ‹Bergtouristen› als von ‹Bergsteigern› sprechen.
Da ist dann auch eine immense Infrastruktur nötig, schliesslich müssen die Sauerstoffflaschen zuerst hinaufgebracht werden, damit sie dann dort sind, wo die Bergsteiger sie brauchen. Das wiederum machen die Sherpas. Man muss also eher von «Bergtouristen» als von «Bergsteigern» sprechen.
Führen all diese Erleichterungen für die Bergsteigerinnen und Bergsteiger dazu, dass die Achttausender unterschätzt werden?
Was es noch braucht, ist eine ausgeprägte Höhentauglichkeit – diese ist nicht allen Menschen angeboren – sowie Talent. Beides bringt Sophie Lavaud sicher mit, damit sie in grossen Höhen eine überdurchschnittliche Leistung abrufen kann.
Es ist bei weitem nicht mehr dasselbe wie vor 40 Jahren, als all die grossen Bergsteiger die Achttausender bestiegen haben.
Kann man sagen, dass bloss noch die finanziellen Ressourcen und die Zeit entscheidend sind, ob jemand einen Achttausender besteigen kann?
Einerseits ja. Andererseits braucht es auch die Fähigkeit, in grosser Höhe Unannehmlichkeiten ertragen zu können. In hohen Übernachtungslagern ist es kalt, es gibt keinen Komfort oder Hygienemöglichkeiten. Das muss man aushalten können.
Wie gross schätzen Sie die Leistung – 14 Achttausender in elf Jahren – ein, die Sophie Lavaud erbracht hat?
Natürlich ist das eine Leistung. Allerdings kenne ich die genauen Umstände nicht – ich weiss nicht, wie gross die Sherpa-Dienstleistungen und Sauerstoffunterstützung dabei war. Aber sicher: Sie hat die 14 Achttausender aus gutem Antrieb bestiegen. Doch diese Besteigungen sind bei weitem nicht mehr dasselbe wie vor 40 Jahren, als all die grossen Bergsteiger die Achttausender bestiegen haben. Das bedaure ich.
Das Gespräch führte Nico Bär.