Zum Inhalt springen

Alle Achttausender bestiegen «Natürlich hat Sophie Lavaud eine Leistung erbracht»

Die Bergsteigerin Sophie Lavaud hat es als erste Schweizerin geschafft, alle 14 Berge über achttausend Meter zu besteigen. Für die Extrembergsteigerin Eveline Binsack ist das durchaus eine Leistung – sie sei aber nicht damit zu vergleichen, als die höchsten Berge noch ohne Sauerstoff und mit viel weniger Unterstützung der Sherpas bestiegen wurden.

Evelyne Binsack

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Evelyne Binsack (geb. 17. Mai 1967) ist unter anderem Bergführerin, Helikopterpilotin und Extrembergsteigerin. 2001 bestieg sie als erste Schweizerin den Mount Everest. Mehrfach durchstieg sie die Eigernordwand. Zwischen 2006 und 2008 legte sie die Strecke Schweiz-Südpol zurück – aus eigener Muskelkraft mit dem Velo, zu Fuss, mit Ski und Schlitten.

SRF News: Wie schätzen Sie den Erfolg von Sophie Lavaud ein?

Evelyne Binsack: Ich gönne ihn ihr von Herzen. Es braucht sehr viel Willenskraft, Engagement und Sponsoren, um ein solches Ziel zu erreichen. Ausserdem ist das Ganze eine körperliche Herausforderung, denn die Achttausender sind nach wie vor gefährlich.

Die Achttausender haben nicht mehr dieselbe Anziehungskraft, wie das noch zu Reinhold Messners Zeiten gewesen ist.

Immerhin: Dank Fixseilen, Sherpa-Begleitung und Sauerstoffflaschen wird die Besteigung eines Achttausenders quasi zu einem Hochziehen an einem Fixseil. Was bleibt, ist die Exponiertheit am Berg und die Höhe. Trotzdem: Die Achttausender haben nicht mehr dieselbe Anziehungskraft auf Bergsteiger, wie das noch zu Reinhold Messners und Erhard Loretans Zeiten gewesen ist.

Nanga Parbat als letzter Achttausender

Box aufklappen Box zuklappen
Sangay in einer fast senkrechten Schneewand am Nanga Parbat.
Legende: Sophie Lavaud

Am 26. Juni stand Sophie Lavaud auf dem 8126 Meter hohen Nanga Parbat in Pakistan (von der Gipfelerreichung ist noch kein Bild publiziert worden). Zuvor hatte sie seit 2012 alle anderen 13 Achttausender der Erde mindestens einmal bestiegen. Sie tat dies seit 2018 meist mit dem Sherpa und Bergführer Dawa Sangay (Bild oben). Lavaud ist erst die vierte Frau, die dies erreicht hat – und brauchte dafür insgesamt elf Jahre. Die gebürtige Schweizerin hat aber auch die französische und kanadische Staatsbürgerschaft – darum wird sie in Frankreich als erste Französin gefeiert , die alle 14 Achttausender bestiegen hat.

Immer noch sterben aber Alpinistinnen und Alpinisten an den höchsten Bergen – auch durch Lawinen. Sie bleiben also eine gefährliche Zone?

Der Berg bleibt so oder so gefährlich. Doch durch die Dienstleistungen der Sherpas und der Organisatoren ist der Berg einfacher geworden ist. Es sind nicht mehr die gleichen bergsteigerischen Grundvoraussetzungen notwendig, um einen Achttausender besteigen zu können wie früher. Ich finde das schade.

Drei vermummte Bergsteigerinnen auf dem Gipfel.
Legende: Erst Anfang Mai stand Sophie Lavaud (mitte, hinten) zusammen mit anderen Bergsteigerinnen auf dem 8027 Meter hohen Shishapangma in China. Er ist der am wenigsten hohe Achttausender der Erde. Sophie Lavaud

Wie gross ist der Unterschied, ob ein Achttausender mit Zusatzsauerstoff oder ohne solchen bezwungen wird?

Der Unterschied ist frappant. Ich selber habe am Mount Everest am letzten Tag auch Sauerstoff benutzt. Heute aber benutzen die Bergsteiger dort teilweise schon ab Lager 2 auf 6900 Metern zusätzlichen Sauerstoff.

Heute muss man eher von ‹Bergtouristen› als von ‹Bergsteigern› sprechen.

Da ist dann auch eine immense Infrastruktur nötig, schliesslich müssen die Sauerstoffflaschen zuerst hinaufgebracht werden, damit sie dann dort sind, wo die Bergsteiger sie brauchen. Das wiederum machen die Sherpas. Man muss also eher von «Bergtouristen» als von «Bergsteigern» sprechen.

Führen all diese Erleichterungen für die Bergsteigerinnen und Bergsteiger dazu, dass die Achttausender unterschätzt werden?

Was es noch braucht, ist eine ausgeprägte Höhentauglichkeit – diese ist nicht allen Menschen angeboren – sowie Talent. Beides bringt Sophie Lavaud sicher mit, damit sie in grossen Höhen eine überdurchschnittliche Leistung abrufen kann.

Es ist bei weitem nicht mehr dasselbe wie vor 40 Jahren, als all die grossen Bergsteiger die Achttausender bestiegen haben.

Kann man sagen, dass bloss noch die finanziellen Ressourcen und die Zeit entscheidend sind, ob jemand einen Achttausender besteigen kann?

Einerseits ja. Andererseits braucht es auch die Fähigkeit, in grosser Höhe Unannehmlichkeiten ertragen zu können. In hohen Übernachtungslagern ist es kalt, es gibt keinen Komfort oder Hygienemöglichkeiten. Das muss man aushalten können.

Das sind die 14 Achttausender der Erde

Box aufklappen Box zuklappen
  • Mount Everest, 8848 m, Himalaya, Nepal/China
  • K2, 8611 m, Karakorum, Pakistan/China
  • Kangchendzönga, 8586 m, Himalaya, Nepal/Indien
  • Lhotse, 8516 m, Himalaya, Nepal/China
  • Makalu, 8485 m, Himalaya, Nepal/China
  • Cho Oyu, 8188 m, Himalaya, Nepal/China
  • Dhaulagiri, 8167 m, Himalaya, Nepal
  • Manaslu, 8163 m, Himalaya, Nepal
  • Nanga Parbat, 8125 m, Himalaya, Pakistan
  • Annapurna, 8091 m, Himalaya, Nepal
  • Hidden Peak (Gasherbrum I), 8080 m, Karakorum, Pakistan/China
  • Broad Peak, 8051 m, Karakorum, Pakistan/China
  • Gasherbrum II, 8034 m, Karakorum, Pakistan/China
  • Shishapangma, 8027 m, Himalaya, China

Wie gross schätzen Sie die Leistung – 14 Achttausender in elf Jahren – ein, die Sophie Lavaud erbracht hat?

Natürlich ist das eine Leistung. Allerdings kenne ich die genauen Umstände nicht – ich weiss nicht, wie gross die Sherpa-Dienstleistungen und Sauerstoffunterstützung dabei war. Aber sicher: Sie hat die 14 Achttausender aus gutem Antrieb bestiegen. Doch diese Besteigungen sind bei weitem nicht mehr dasselbe wie vor 40 Jahren, als all die grossen Bergsteiger die Achttausender bestiegen haben. Das bedaure ich.

Das Gespräch führte Nico Bär.

SRF 4 News, 28.06.2023, 06:15 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel