Mehr als ein Jahr waren sie ab Oktober 2009 gleichzeitig als Finanzminister für ihr Land tätig, der Deutsche Wolfgang Schäuble und der Schweizer Alt-Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Die Finanzkrise war soeben mehr oder weniger überstanden und auf der Agenda stand die Debatte über den Steuerstreit der beiden Nachbarländer. Das führte zu hitzigen Diskussionen. Diskussionen, bei denen Schäuble die Schweiz gemäss Merz stets respektierte.
Sein damaliges Gegenüber Hans-Rudolf Merz findet für Schäuble gegenüber SRF nur lobende Worte: «Er konnte unverblümte Wahrheiten sagen, zur Sache kommen und deutlich werden – aber hatte für Andersdenkende und für politische Gegner immer Toleranz und Verständnis geübt.»
Er hat Verständnis dafür gezeigt, dass die Schweiz nicht in die EU will.
Dies habe sich auch beim Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU gezeigt, sagt Merz. «Er hat Verständnis dafür gezeigt, dass die Schweiz nicht in die EU will.» Laut Merz hat Schäuble nicht versucht, in der Schweiz für einen EU-Beitritt zu missionieren und habe diese auch nicht getadelt, sondern den Entscheid akzeptiert.
Der Verteidiger in Brüssel
Ebenfalls positive Worte für Schäuble findet Alt-Bundesrätin Doris Leuthard: «Er konnte sehr gut zuhören, vermitteln, war gleichzeitig hartnäckig und ist für seine Überzeugungen eingestanden.» Zudem habe er die Empfindlichkeiten der Schweizer Bürger, die direkte Demokratie, den Föderalismus und das Schweizer System insgesamt verstanden. Er habe es nicht nur verstanden, sondern auch gemocht. Er habe gewusst, dass Angelegenheiten in der Schweiz länger dauern als anderswo und Verständnis dafür gezeigt, sagt Leuthard.
So sei es dann auch nicht selten vorgekommen, dass Schäuble die Schweiz in Brüssel verteidigt hätte, wenn es zu Spannungen kam. Auch beim Rahmenabkommen, das unter anderem am Übernahmeverfahren von EU-Recht scheiterte. Laut Leuthard merkte Schäuble, dass die Schweiz in dieser Angelegenheit sehr sensibel ist. Und hat deshalb dem damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker nahegelegt: «Ihr müsst der Schweiz einen pragmatischeren Weg vorlegen.» Man könne von der Schweiz nicht verlangen, dass sie das Recht eins zu eins übernehme, wie es in der EU üblich sei.
In der heutigen Zeit bräuchte es mehr Politiker, wie er einer war, die mit Leidenschaft, Überzeugung und Bescheidenheit arbeiten (...).
Bei Juncker hat dies laut Leuthard dazu geführt, dass er der Schweiz den Weg der Schiedsgerichtsbarkeit vorschlug. Dies sei ein Beispiel, wie Wolfgang Schäuble hinter den Kulissen für die Schweiz gearbeitet habe.
«Handicap hat ihn nie behindert»
Leuthard hat an Schäuble das Pflichtbewusstsein und das Dasein für seine Aufgaben und die Menschen immer besonders beeindruckt. «In der heutigen Zeit bräuchte es mehr Politiker, wie er einer war, die mit Leidenschaft, Überzeugung und Bescheidenheit arbeiten – und langfristig und nicht nur an sich selber denken.»
Angesprochen auf die Beeinträchtigung von Schäuble, zeigen sich sowohl Merz als auch Leuthard beeindruckt. Schäuble hätte die Beeinträchtigung «cool» genommen und sein Schicksal akzeptiert, dies sei nicht selbstverständlich, sagt Merz. «Er war über 50 Jahre in der deutschen Politik massgebend, das Handicap hat ihn aber nie behindert.» Die Familie – und insbesondere seine Frau – als starker Rückhalt hätten dabei sicher geholfen.
Leuthard sagt, sie wusste, dass Schäuble starke Schmerzen gehabt hätte. Diese hätte man ihm aber nie angemerkt. «Das hat mich extrem beeindruckt.»