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Alterskapital ausschlaggebend Wer es vermag, der geht in Rente

Arbeitskräftemangel, Löcher in der AHV und den Pensionskassen: Es gibt viele Gründe, wieso man möglichst lange einer bezahlten Arbeit nachgehen sollte. Doch die Neurentenstatistik zeigt: Alle jene, die es finanziell vermögen, drehen dem Arbeitsmarkt vorzeitig den Rücken zu.

Dieser Befund überrascht: Fast die Hälfte aller Arbeitnehmer in der Schweiz beziehen ihre erste Pensionskassenrente vor dem regulären Pensionsalter – im Durchschnitt mit 63,4 Jahren. Das zeigt die Neurentenstatistik des Bundes. Diese Statistik gibt es erst seit drei Jahren.

Weil es eine Vollerhebung ist, die aufgrund von Steuerdaten gemacht wird, sei sie aufschlussreich, sagt der Pensionskassenexperte Fabian Thommen: «Das Interessante ist, dass neben dem Alter und Geschlecht beispielsweise auch die durchschnittliche Rentenhöhe pro Monat erhoben wird.»

Die Neurentenstatistik zeigt also, wer in welchem Alter wie viel Franken Pensionskassenrente erhält. Grundsätzlich kann man eine Pensionskassenrente zwischen dem 58. und dem 70. Altersjahr beziehen. Thommen hat die Rentenhöhen dieser Neurentenstatistik analysiert und Erstaunliches festgestellt.

Wer also vorzeitig geht, hat eine im Schnitt 1300 Franken höhere Rente.
Autor: Fabian Thommen Pensionskassenexperte

«Je früher eine Rente bezogen wird, desto höher ist die Rente. Wenn man die Rente gewichtet, beträgt die Rente der vorzeitig Pensionierten fast 3600 Franken im Monat und im Schnitt. Dem gegenüber steht die durchschnittliche Rente der Pensionierten im Alter 65. Diese beträgt hingegen nur 2300 Franken. Wer also vorzeitig geht, hat eine im Schnitt 1300 Franken höhere Rente.»

Rentner auf einer Bank sitzend.
Legende: Wer im Arbeitsleben gut verdient hat, kann es sich leisten, früher in Rente zu gehen. Keystone / Archiv

Doch wie kann es sein, dass jene, die früher aufhören zu arbeiten, mehr aus der Pensionskasse erhalten als jene, die bis 65 durchhalten? Schliesslich werden Pensionskassenrenten ja gekürzt, wenn man vor dem regulären Rücktrittsalter den Job aufgibt.

Das sei so, bestätigt Experte Thommen, aber: «Die Rente ist das Ergebnis aus Kapital bei Pensionierung multipliziert mit dem so genannten Umwandlungssatz. Wenn dieser Umwandlungssatz bei einer vorzeitigen Pensionierung aufgrund der längeren Bezugsdauer gekürzt wird, aber die Renten dennoch höher ausfallen, kann es nur einen Grund geben: Diese Personen haben ein höheres Alterskapital.»

Ein höheres Alterskapital hat, wer sein Leben lang gut verdient hat. Das sind zum Beispiel Angestellte aus der Finanz- und Pharmaindustrie – kaum aber Leute aus Gewerbe und Detailhandel. Mit anderen Worten: Wer in der Pensionskasse genug angespart hat, arbeitet in der Schweiz nicht bis zum gesetzlichen Pensionsalter. Bis 65 arbeitet nur, wer es finanziell nicht vermag, früher aufzuhören.

Für die Sanierung der Altersvorsorge sei dies eine wichtige Erkenntnis, sagt Fabian Thommen. Beispielsweise nütze es wenig, das Pensionsalter auf dem Papier zu erhöhen: «Es gibt Leute, die früher gehen, weil sie es sich leisten können.»

Je früher sich Arbeitnehmer aber aus dem Arbeitsleben verabschieden, desto weniger zahlen sie – und ihre Arbeitgeber – in Pensionskasse und AHV ein. Besonders für die Sanierung der AHV ist das keine gute Nachricht.

Den positiven Effekt des starken Frankens nutzen?

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Wer es finanziell vermag, arbeitet mehrheitlich nicht bis 65. Gleichzeitig muss die AHV saniert werden. Nun gibt es einen Vorschlag von Martin Wechsler (eidg. dipl. Pensionsversicherungsexperte) und Fabian Thommen (eidg. dipl. Pensionskassenleiter), wie man das Problem lösen könnte. Die beiden Autoren schlagen in einer Studie vor, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) hier einen Teil dazu beisteuert. SRF-Wirtschaftsredaktorin Charlotte Jacquemart beantwortet dazu die vier wichtigsten Fragen:

  • Wie sieht dieser Vorschlag im Detail aus?

Diese Experten schlagen vor, dass man 500 Milliarden Franken der Reserven der SNB in einen speziellen AHV-Fonds auslagern würde – und die Rendite auf diesen Papieren in die AHV leitet. Verkauft würden die Wertschriften nicht. Die SNB hat seit der Finanzkrise rund 800 Mrd. Franken neu gedruckt – und damit ausländische Wertschriften gekauft – um den Franken zu schwächen. Das war wegen der Exportindustrie nötig gewesen. Auf diesen Wertschriften sitzt die SNB seither.

  • Könnte dieser Vorschlag die AHV für längere Zeit stabilisieren?

Ja, das könnte er. Wenn man mit 2 Prozent Rendite pro Jahr rechnet – das ist etwas weniger als das, was die SNB seit 1999 auf ihren Wertschriften verdient hat – flössen der AHV 10 Milliarden Franken zu pro Jahr. Das würde die AHV bis gegen 2050 stabilisieren. Also deutlich länger, als die aktuellen Vorschläge mit mehr Lohnbeiträgen und höherer Mehrwertsteuer.

  • Wenn man der SNB aber diese Reserven wegnimmt: Fehlen dieser der SNB dann nicht?

Nein, weil die SNB ja keine normale Firma ist, die Investitionen tätigen muss. Es ist im Gegenteil sogar so, dass die SNB diese Wertschriften eigentlich wieder loswerden möchte. Aber der Franken war in den letzten Jahren – und auch gerade jetzt wieder – einfach oft zu stark, um das zu tun. Mit der Auslagerung in einen speziellen AHV-Fonds würde die SNB den Klumpen los. Diese SNB-Fondslösung zugunsten der AHV hätte auch noch einen anderen Vorteil: Er belastete die Wirtschaft nicht, wie es höhere Abgaben und Steuern tun.

  • Es gibt Länder die ähnliches machen: Norwegen besitzt Öl und die Erträge daraus fliessen in einen Pensionsfonds, der allen Norwegern zugute kommt. Ist das mit dem Vorschlag mit der Nationalbank vergleichbar?

Genau das sagen die Experten, die das vorschlagen. Die Schweiz habe kein Öl, dafür aber eine Währung, die in der Welt viel Vertrauen geniesse. Und genauso wie das Öl in Norwegen allen Norwegern gehöre, könne man argumentierten, dass die SNB mit ihren Reserven allen Schweizern gehörten. Da sei es nur richtig, wenn man den positiven Effekt dieser starken Währung allen zugute lassen komme – eben via AHV.

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