Anonyme Hacker unternehmen vor einem Monat eine «Tour» durch Ruag Space. Sie dokumentieren dies mit Bild- und Videomaterial, das sie der «Rundschau» zuspielen. Sie schauen sich in einem Posteingang um und zeigen ein Briefing an die Mitarbeitenden von André Wall, CEO der Ruag International.
Internationale Projekte exponiert
Im Video wurde vieles unscharf gemacht. Trotzdem erkennbar: Die Einbrecher scrollen in einer Excel-Datei. Mit den gestohlenen Administratoren-Rechten könnten sie solche Dateien manipulieren. Sichtbar wird ein Ordner-Verzeichnis mit internationalen Weltraumprojekten. Etwa «ExoMars_Rover». Ruag Space hat den Computer des Mars-Fahrzeugs entwickelt.
Ein anderer Ordner heisst «Astranis», wie der gleichnamige US-Internetanbieter, der Satelliten in den Orbit schiessen lässt. Hinter «Cislunar» könnten sich Informationen zur geplanten NASA-Raumstation verbergen. Die Ordner werden nicht geöffnet. Die Einbrecher wollen offenbar keine Geheimnisse verraten.
Ruag: «Keine Hinweise auf Hack»
Die Ruag International hat vom Angriff im April nach eigenen Angaben keine Kenntnis. «Unsere Systeme sind nach neusten Erkenntnissen geschützt», schreibt die Medienstelle auf Anfrage. Es gebe keinerlei Hinweise auf einen Hack. Weiter hält Ruag International fest: «Das uns vorliegende Bildmaterial ist kein schlüssiger Beweis. Das Unternehmen analysiere derzeit die Hinweise in einer Taskforce und behalte sich eine Strafanzeige vor.»
«Wir waren nicht betroffen», sagt Nicolas Perrin, Verwaltungsratspräsident der Ruag MRO Schweiz. Die Verbindungen zwischen Ruag International und Ruag Schweiz seien in der Mehrheit bereits gekappt.
Ungeschützte militärische Daten
2016 wurde ein grosser Cyberangriff auf militärische Geheimnisse der Ruag publik. Der Bundesrat erkannte, dass der Datenmoloch eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellt. Er splittete die Ruag 2020 in einen nationalen und einen internationalen Teil auf.
Das Netzwerk sei immer noch verwundbar, warnen jetzt Insider gegenüber der «Rundschau». Sie wollen Anonymität, aber nicht mehr schweigen: «Es gibt Hunderte von unbeaufsichtigten Servern», sagt einer der IT-Spezialisten. «Zudem führen aus dem Ruag-Netz Hunderte unbekannte Verbindungen in fremde Netzwerke.» Das sei gefährlich. Ruag fehle nach wie vor der Überblick über seine Daten.
Das bestätigt der vertrauliche Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle vom Februar 2021, welcher der «Rundschau» vorliegt: «Die fehlende Übersicht allfälliger Backups und Archive stellt ein erhebliches Risiko dar», heisst es. Wenn diese Daten nicht gefunden und gelöscht würden, könne nicht ausgeschlossen werden, «dass militärische und vertrauliche Daten weiterhin für unberechtigte Personen verfügbar bleiben.»
Entflechtung nicht abgeschlossen
Die vollständige technische Entflechtung des Ruag-Netzwerks hätte mehr Sicherheit bringen sollen. Fertig entflochten ist jedoch noch nicht, wie Recherchen zeigen. Trotzdem schreibt der Bundesrat im März 2021 in seinem strategischen Kurzbericht: «Die Entflechtung konnte weitestgehend abgeschlossen werden.» Auch Ruag hielt mehrfach fest: «Entflechtung erfolgreich abgeschlossen.»
Aufgrund der «Rundschau»-Recherche droht der grüne Nationalrat Balthasar Glättli nun mit einer PUK: «Wenn die schweren Vorwürfe nicht innert kurzer Zeit vollständig entkräftet werden, dann braucht es die brutalstmögliche Aufklärung, denn hier geht es ums Vertrauen gegenüber dem Bundesrat.»