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Antifolterkommission Ist es nötig, weglaufende Demenzkranke einzusperren?

Laut der Antifolterkommission werden Demenzkranke oft eingesperrt, auf Betten fixiert und an Rollstühlen festgebunden.

Darum geht es: Die Kommission zur Verhütung von Folter hat 16 Alters- und Pflegeheime in 13 Kantonen besucht und dabei festgestellt, dass viele Demenzkranke ohne behördliche Anordnung auf geschlossenen Abteilungen betreut, in Betten fixiert und an Rollstühlen festgebunden werden.

So lautet die Kritik: Unnötige oder unverhältnismässige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit verstossen laut der Kommission gegen die Menschenrechte. «Nur weil jemand dement ist, heisst das nicht zwingend, dass man diese Person einsperren und vor sich selber schützen muss», sagt Urs Hepp, Psychiater und Vizepräsident der Antifolterkommission. Die Kommission ist überzeugt, dass es Alternativen gäbe.

Blick in ein Zimmer mit Pflegebett und offener Balkontür
Legende: Nichts wie raus: Demenzkranke haben häufig einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Im Bild die Demenzabteilung im Spital Affoltern. KEYSTONE / Ennio Leanza

Alternative Massnahmen: Denkbar sind gesicherte Gärten, in denen sich die Bewohnerinnen und Bewohner frei bewegen können, oder GPS-Überwachung, damit das Personal sieht, wo eine Person sich aufhält. Um Stürze aus Betten zu verhindern, können ebenerdige Betten verwendet und mit Turnmatten rundherum gesichert werden.

Das sagt eine Demenz-Expertin: Angela Schnelli ist Präsidentin der Sektion St. Gallen / beider Appenzell von Alzheimer Schweiz und leitet die Fachstelle Spitexentwicklung. «Der Begriff ‹geschlossene Wohngruppe› impliziert, dass man die Welt vor den Menschen mit Demenz schützen will, aber eigentlich ist es umgekehrt: In einer geschlossenen Wohngruppe schützt man Menschen mit Demenz vor der Welt draussen.» Menschen mit Demenz könnten häufig Risiken nicht mehr einschätzen und brächten sich selbst in Gefahr, weshalb man den Radius beschränken müsse. Auch eine Fixation sei nur bei Selbst- oder Fremdgefährdung gerechtfertigt.

Beratung zu Demenz

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Alzheimer Schweiz bietet eine anonyme Erstanlaufstelle per Telefon: 058 058 80 00

Und auf der neuen Online-Community-Plattform «alzpeer» können sich Gleichbetroffene miteinander austauschen.

Das Dilemma: Angehörige haben oft ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit. Sie wollen nicht, dass sich der Grossvater bei einem Sturz verletzt oder die betagte Mutter bei einem Winterspaziergang die Orientierung verliert und erfriert. Personen mit Demenz oder Alzheimer haben allerdings oft einen grossen Bewegungsdrang. Diese beiden Bedürfnisse kollidieren also und mittendrin steht das stark geforderte Personal, das kaum Zeit hat.

Kritik an Einweisung von Demenzkranker – ein Fall im Kanton Zug

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Teils können Demenzkranke nicht mehr gut sprechen, was es besonders schwierig macht, zu beurteilen, ob sie freiwillig oder unfreiwillig auf der geschlossenen Abteilung sind.

Im Kanton Zug etwa ordnete die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde die fürsorgerische Unterbringung einer demenzkranken Frau an – ohne sie oder ihren Ehemann angehört zu haben. Der Kesb fehlten dafür angeblich die personellen Ressourcen.

Das liess das Zuger Verwaltungsgericht nicht gelten: Es hiess die Beschwerde des Ehemannes gut, der seine Frau zu Hause pflegen will. Das Gericht hörte die beiden selbst an und kam – trotz sprachlicher Einschränkung der demenzkranken Frau – zum Schluss, die Frau sei stark auf ihren Mann bezogen und bringe ihm offensichtlich bedingungsloses Vertrauen entgegen. So sei sie sichtlich aufgeblüht und habe gestrahlt, als sie ihn erblickte.

Urteil F 2025 6 vom 28. März 2025

Was gut funktioniert: Nach Erfahrung von Schnelli helfen begleitete Spaziergänge, Beschäftigung und eine Eins-zu-eins-Betreuung. Wichtig sei auch eine gute Schmerztherapie, denn Schmerzen seien häufig die Ursache dafür, dass jemand weglaufen wolle oder aggressiv sei.

In einem Punkt herrscht Einigkeit: Sowohl Schnelli als auch Hepp finden, die Politik müsse dafür sorgen, dass mehr gut geschultes Pflegepersonal zur Verfügung steht. «Wir brauchen unbedingt mehr diplomierte Pflegefachpersonen», betont Schnelli. Und Hepp sagt: «Was auf keinen Fall sein darf, ist, dass man aus Personalmangel Menschen ans Bett oder den Rollstuhl festbindet – das ist menschenrechtlich nicht zulässig.»

Echo der Zeit, 16.7.2025, 18 Uhr; sten

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