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Antisemitismus-Vorwürfe Wird der St. Galler Raiffeisenplatz umbenannt?

Ein Komitee rund um Alt-Ständerat Paul Rechsteiner (SP) hat einen Namenswechsel zu «Recha-Sternbuch-Platz» gefordert.

Er ist einer der populärsten Plätze in der Stadt St. Gallen: der Rote Platz mitten im Zentrum. Mit seinem charismatischen roten Teppich ist er weit über die Stadtgrenze hinaus bekannt. Verantwortlich für die Gestaltung war vor 18 Jahren die renommierte St. Galler Künstlerin Pipilotti Rist zusammen mit anderen Kunstschaffenden. Seither heisst er offiziell Raiffeisenplatz, weil die Bank dort ihren Hauptsitz hat.

An diesem Namen rüttelt jetzt ein Komitee rund um den St. Galler Alt-Ständerat Paul Rechsteiner. Es stösst sich am angeblich antisemitischen Hintergrund des Bankengründers Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Deshalb will das Komitee den Platz umbenennen und ihn einer jüdischen Flüchtlingshelferin widmen.

Roter Platz: Raiffeisen weg, Sternbuch hin

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Der Gründer der Raiffeisenbank in Deutschland, Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 – 1888), sei «ein derart prononcierter Antisemit» gewesen, dass ihn die Nationalsozialisten zu seinem 50. Todestag als einen der ihren gefeiert hätten, erläuterte der Historiker Hans Fässler am Donnerstag auf dem Raiffeisenplatz.

Die orthodoxe Jüdin Recha Sternbuch (1905 – 1971) habe in St. Gallen gelebt und zur Zeit des Nationalsozialmus zahlreichen Flüchtlingen das Leben gerettet. «Sie hätte hier schon lange einen Platz verdient», sagte Stefan Keller.

Pipilotti Rist erklärte vor den Medien, sie wolle nicht, dass ein von ihr gestalteter Platz mit einem Antisemiten in Verbindung gebracht werde.

Vor zwei Jahren hat das Komitee die Stadt St. Gallen und die Raiffeisenbank in einem Brief aufgefordert, die Umbenennung des Platzes an die Hand zu nehmen. Weil seither nichts passiert sei, werde die Forderung jetzt öffentlich gemacht, sagte der ehemalige SP-Ständerat Paul Rechsteiner vor Ort. «Wir haben in St. Gallen eine Riesenchance, nach dem Paul-Grüningerplatz jetzt auch den Roten Platz würdig zu benennen», sagte Rechsteiner.

Wie kam der Grüningerplatz zu seinem Namen?

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Am internationale Flüchtlingstag im Sommer 1996 weihte die Stadt St. Gallen im Rahmen eines Volksfestes den Grüningerplatz ein. Bereits seit 1994 gibt es in einem Aussenquartier der Stadt einen Grüningerweg.

Paul Grüninger (1891 – 1972) rettete in den Jahren 1938/39 als kantonaler Polizeikommandant hunderte jüdische und andere Flüchtlinge vor der nationalsozialistischen Verfolgung. 1940 wurde er gerichtlich verurteilt und 1995 durch einen Freispruch des Bezirksgerichts St. Gallen rehabilitiert.

Neben Paul Rechsteiner gehören auch die beiden Ostschweizer Historiker Stefan Keller und Hans Fässler – auch bekannt als Kabarettist und politischer Aktivist – zum Komitee und ebenso die Platzgestalterin Pipilotti Rist. Es sei nun Zeit für eine Umbenennung, argumentierten sie.

Das Ziel des Komitees: Der Raiffeisenplatz soll möglichst rasch visuell mit einer Tafel, aber auch im Grundbuch, umbenannt werden. Realistischerweise geschehe dies bis spätestens Ende 2024.

Der Entscheid obliegt dem Stadtrat

Eigentümerin des Roten Platzes ist die politische Gemeinde St. Gallen. Abschliessend wird daher der St. Galler Stadtrat über diese Umbenennung entscheiden, der unlängst Ja gesagt hat zu einem Postulat, das Frauen im Stadtraum sichtbarer machen will.

Bevor der Stadtrat aber auf die Forderung eingehe, wolle er die geschichtliche Aufarbeitung abwarten, heisst es vom zuständigen Stadtrat Markus Buschor.

Das Komitee mit Paul Rechsteiner und den Historikern Fässler und Keller stehen vor der umbenannten Namenstafel.
Legende: Auf dem Roten Platz in St. Gallen: Ein Komitee fordert die Umbenennung in «Recha-Sternbuch-Platz» und hat bereits das Namensschild ausgetauscht. SRF MICHAEL ULMANN

Im Zuge des anstehenden Firmenjubiläums ist die Raiffeisenbank daran, die Geschichte ihrer Gründung in der Schweiz zu untersuchen. Raiffeisen habe ein unabhängiges Gutachten in Auftrag gegeben, so Markus Buschor, Leiter der Direktion Planung und Bau. Sobald dieses vorliege, werde sich die Stadt zu einer allfälligen Umbenennung des Raiffeisenplatzes äussern. In diesem Sinne wolle der Stadtrat abwarten und «sorgfältig abwägen».

Der falsche Weg

Die Forderung des Komitees stösst insbesondere bei der SVP der Stadt St. Gallen auf Kritik. Eine Umbenennung des Platzes sei nicht angebracht, sagt Karin Winter-Dubs, SVP-Fraktionspräsidentin im St. Galler Stadtparlament. «Geschichte kann man nicht ausradieren, man kann sie aber erklären und daraus lernen», so Winter-Dubs auf Anfrage. Mit einer Umbenennung versuche man Geschehenes zu verstecken und dies sei der falsche Weg.

Regionaljournal Ostschweiz, 25.05.2023, 17:30 Uhr ; 

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