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Arbeitsbelastung in Spitälern Burnout-Symptome bei Assistenzärztinnen und -ärzten nehmen zu

Keine Pausen und Überstunden: Das Arbeitsgesetz in Spitälern wird weiterhin regelmässig missachtet. Assistenzärztinnen und -ärzte fühlen sich häufiger ausgelaugt und erschöpft. Das hat auch zunehmend Auswirkungen auf die Patientensicherheit, wie eine neue schweizweite Befragung zeigt.

«Diese Woche habe ich kurze Schichten. Sie würden eigentlich von 14 bis 23 Uhr dauern. Wegen der vielen Patienten kam ich aber zu nichts und musste bis morgens um 3 Uhr Berichte schreiben.» Roman S. arbeitet seit mehreren Jahren als Assistenzarzt an Schweizer Spitälern. Aus Angst aufgrund seiner Aussagen benachteiligt zu werden, bleibt dieser junge Assistenzarzt anonym. So wie ihm geht es in der Schweiz vielen Assistenzärztinnen und -ärzten.

Ein gesamtschweizerisches Problem

Eine neue repräsentative Umfrage des Berufsverbands VSAO zeigt, dass bei drei von vier Assistenzärzten das Arbeitsgesetz umgangen wird. «Es ist ein gesamtschweizerisches Problem. Bei gewissen Fachrichtungen ist es stärker verbreitet, aber es ist sicher nicht nur ein lokales Problem», bestätigt Angelo Barrile, Präsident des VSAO und SP-Nationalrat.

Das sagen Assistenzärztinnen und -ärzte

Die Umfrage zeigt: Es gibt drei grosse Knackpunkte bei der Einhaltung des Arbeitsgesetzes. Entweder arbeitet ein Arzt pro Woche mehr als vertraglich vereinbart – im Schnitt 56 Stunden pro Woche –, er sammelt mehr als die erlaubten 140 Überstunden pro Jahr oder arbeitet mehr als 7 Tage am Stück.

Warum wird bei uns das Gesetz nicht eingehalten?
Autor: Brigitte M. Assistenzärztin

Brigitte M. ist Assistenzärztin und war Assistenzarztsprecherin an einem Spital. Die Problematik ist ihr bekannt: «Warum wird bei uns das Gesetz nicht eingehalten? Wenn man in eine Bank geht und diese ausraubt, steht im Gesetz, dass man das nicht darf. Dann kommt die Polizei und sperrt den Menschen ein. Auch bei uns wird das Gesetz wirklich zum Teil nicht eingehalten. Warum gibt man nicht mehr Acht darauf?» Sie sagt aber auch, viele Überzeiten würden teilweise im System nicht erst erfasst.

Wenn man zu viele Überstunden hat, dann bist du also zu langsam.
Autor: Roman S. (Name geändert) Assistenzarzt

Denn oft schreiben Assistenzärzte die Überstunden nicht auf oder die Systeme lassen es nicht zu. Auch Roman S. erfasst seine Überstunden nur teilweise: «Auf der Chirurgie haben Sie halt so ein bisschen das Druckmittel gegen dich, dass sie sagen können, wenn man zu viele Überstunden hat, dann bist du also zu langsam und dann wird man halt nicht mehr ausgebildet im Sinn von, dass man keine Operationen mehr machen darf.»

Das sagt der Spitalverband H+ zur Situation der Assistenzärzte

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Rolf Zehnder ist Vorstandsmitglied des Spitalverbands H+ und CEO der Thurmed AG und der Spital Thurgau AG.

SRF: Was halten Sie von den Umfrageergebnissen?

Rolf Zender: Spitäler in der Schweiz sind massiv unter Druck. Sämtliche Mitarbeitenden spüren, dass die Spitäler zurzeit ganz klar unterfinanziert sind. Ich glaube aber nicht, dass das Arbeitsgesetz generell nicht eingehalten wird. Einerseits sind wir Spitäler interessiert daran, überhaupt Assistenzärzte zu finden im Rahmen des Fachkräftemangels, andererseits zeigen die Kontrollen durch die Arbeitsinspektorate, die sehr intensiv sind, dass das Arbeitsgesetz eingehalten wird.

SRF: Trotzdem – das Arbeitsgesetz wird laut Umfrage bei drei von vier Assistenzärzten nicht eingehalten.

Wir haben sicher in Einzelfällen immer solche Situationen. Wir müssen aber auch sehen, dass die Arbeit im Spital sehr erfüllend ist, aber sie ist sehr fremdbestimmt. Die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten lassen sich nicht kanalisieren. Dann muss man auch sehen: Als man das Arbeitsgesetz gemacht hat, hat niemand an die Situation von Ärztinnen und Ärzten gedacht. Das Arbeitsgesetz ist nicht wirklich geeignet für die Situation. Nichtsdestotrotz, ich glaube, insgesamt wird das Arbeitsgesetz eingehalten.

SRF: Viele Assistenzärzte trauen sich nicht, ihre Überstunden aufzuschreiben, weil sie sich vom Vorgesetzten unter Druck gesetzt fühlen. Was raten Sie diesen Personen?

Rolf Zehnder: Der Druck in den Spitälern ist sehr gross, das ist so. Ich bin aber sehr überzeugt, jede Assistenzärztin, jeder Assistenzarzt sollte sich gut überlegen, den Arbeitgeber auszusuchen, der faire, gute Arbeitsbedingungen und gute Weiterbildungen bietet, und wo eine gute Kultur herrscht. Ich glaube, von denen gibt es mehr als genug.

SRF: Was können Spitäler konkret tun, um die Arbeitsbelastung der Assistenzärzte zu reduzieren?

Ich glaube, wir müssen den Arztberuf neu denken. Wir müssen überlegen, wie wir die Aufgaben neu verteilen könnten. Müssen alle Aufgaben wirklich von Ärztinnen und Ärzten gemacht werden? Wir sollten die Digitalisierung nutzen, sodass die Ärzte wieder mehr Zeit für Beziehungsarbeit mit den Patientinnen und Patienten haben und von administrativer Arbeit entlastet werden. Wir haben heute aber auch extrem gut ausgebildete Gesundheitsberufe, die ärztliche Aufgaben übernehmen könnten. Das dritte ist ganz klar die Politik. Sie schafft laufend neue Vorgaben, meistens mit gutem Willen, aber die Vorgaben führen zu mehr Administration, die wiederum muss erledigt werden und das trifft häufig wieder die Ärztinnen und Ärzte.

SRF: Laut Umfrage berichten immer mehr Ärzte von Gefährdung der Patientensicherheit aufgrund von Übermüdung.

Ich bin überzeugt, dass die Patientensicherheit in den Schweizer Spitälern noch nie so gut gewesen ist, wie sie heute ist. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich immer wieder Situationen. Wie viele von diesen Situationen aber auf Übermüdung zurückzuführen sind wegen nicht Einhaltens des Arbeitsgesetzes oder aus Übermüdung aus anderen Gründen oder aber auch sonst auf menschliches Versagen, dazu kenne ich keine Studie. Das ist wohl sehr schwierig zu beurteilen.

Burnout-Symptome steigen und gefährden die Patientensicherheit

Die vielen Überstunden haben Auswirkungen, wie die Umfrageresultate des VSAO zeigen. Die Befragten nehmen ihre Arbeit als immer belastender wahr. Das zeigt die Entwicklung über die letzten Jahre. Seit der ersten Befragung 2013 nehmen Burnout-Symptome, wie sich müde oder erschöpft fühlen, signifikant zu. 2022 dachte jede zweite Person mindestens ab und zu «Ich kann nicht mehr». «Das zeigt, dass die jungen Ärztinnen und Ärzte immer stärker unter Druck stehen. Die Spitäler müssen die Arbeitsbedingungen unbedingt verbessern, um diese hoch motivierten und bestens qualifizierten Fachpersonen im Arztberuf zu halten», sagt dazu Angelo Barrile.

Die Spitäler müssen die Arbeitsbedingungen unbedingt verbessern.
Autor: Angelo Barrile Präsident VSAO und Arzt

Die Arbeitsbedingungen haben auch Auswirkungen auf die Patientensicherheit. Die Anzahl Assistenzärztinnen, die von übermüdungs-bedingter Gefährdungen von Patienten berichtet, ist erneut angestiegen. 67 Prozent der Assistenzärzte haben in den letzten zwei Jahren mindestens einmal erlebt, dass ein Patient wegen Übermüdung gefährdet war.

Ein Runder Tisch, um Lösungen zu diskutieren

Der Arztberuf sei für viele trotz allem immer noch ein Traumberuf und die jungen Ärzte seien motiviert, an Lösungen mitzuarbeiten. Der VSAO organisiert deshalb einen runden Tisch mit den wichtigsten Beteiligten wie dem Bundesamt für Gesundheit (BAG), dem Verband der Spitäler (H+), den Kantonen und der Ärzteverbindung FMH.

Ärzte stehen vor einem Operationssaal
Legende: Symbolbild/KEYSTONE/Gaetan Bally

SRF 4 News, 15.05.2023, 07 Uhr

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