Am Mittwoch besuchte der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk das Bundeshaus in Bern und bedankte sich bei der Schweiz für ihre Hilfe im Krieg. Nicht nur Stefantschuks Auftritt sorgte im Nachgang für Schlagzeilen, sondern auch ein Eklat am Rande des Besuchs. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi und sein Parteikollege Michael Graber wollten eine Treppe passieren, die aus Sicherheitsgründen vorübergehend gesperrt war. Dabei kam es zu einem Handgemenge zwischen den beiden Nationalräten und der Bundespolizei. SVP-Bundesrat Albert Rösti verteidigte Aeschi und Graber kurz darauf gegenüber SRF. In der «Arena» tut es ihm SVP-Präsident Marcel Dettling gleich: «Das Sicherheitskonzept war völlig übertrieben und wir wurden nicht darüber informiert.»
Dass sich ein Fraktionschef gegenüber der Bundespolizei so verhalte, sei völlig «unnötig», kritisiert Mitte-Präsidiumsmitglied Marianne Binder, und GLP-Präsident Jürg Grossen unterstreicht: «Dafür habe ich null Verständnis.»
Kritik erntet Dettling auch von FDP-Chef Thierry Burkart und der Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone. Der SP-Vizepräsident Jon Pult fordert eine Entschuldigung von der SVP für den Vorfall, denn die Szene provoziere Bilder für die russische Propaganda. «Die Verantwortung, die diese zwei Nationalräte tragen, und der Image-Schaden für unser Land sind enorm.»
Kann der Ukraine-Gipfel zu einem Erfolg werden?
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Schweiz ins Visier russischer Propaganda gerät. Im Vorfeld des hochrangigen Ukraine-Gipfeltreffens wurde Bundespräsidentin Amherd in einer russischen TV-Sendung diffamiert. Das zeige, dass Russland die Konferenz ernst nehme, sagte Amherd in einem Interview. Im Zentrum stehen vor allem Fragen rund um die nukleare Sicherheit, humanitäre Aspekte und die Ernährungssicherheit. Das übergeordnete Ziel besteht indes darin, einen Friedensprozess anzustossen.
Die «Arena»-Gäste loben die aktive Rolle des Bundesrats. Kritik gibt es einzig von SVP-Präsident Marcel Dettling. Er sei enttäuscht, dass Russland nicht offiziell eingeladen worden ist: «Wenn die Schweiz das ernst meint, muss sie beide Seiten einladen.» Er erachtet die Erfolgschancen des Treffens auf dem Bürgenstock als gering, da «alle wichtigen Leute für einen Frieden fehlen».
Tatsächlich fehlt nebst Russland auch China – und einflussreiche Staaten wie Brasilien oder Saudi-Arabien schicken nur eine Delegation der zweiten Garde an das Gipfeltreffen. Insgesamt werden gemäss Teilnehmerliste des Aussendepartements100 Staaten und Organisationen sowie 57 Regierungschefs am Treffen teilnehmen. «Es ist beeindruckend, wie viele namhafte Länder helfen wollen, eine Grundlage für einen Frieden in der Ukraine zu schaffen», kommentiert GLP-Präsident Jürg Grossen die Teilnehmerliste. Auch Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone ist optimistisch, dass der Schritt entscheidend ist für einen künftigen Frieden.
Zur Kritik der SVP sagt SP-Nationalrat Pult: «Es ist unbestritten, dass der Angriff auf die Ukraine völkerrechtswidrig war. Darum muss ein Frieden auch mit dem Anliegen der Ukraine beginnen, weil diese im Recht ist.» Für Marcel Dettling ist derweil klar: «Wir verlieren hier eine gute Chance, um zu zeigen, dass wir neutral sind.»
Debatte um Neutralität dreht weiter
Seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine streitet sich die Politik über die Neutralität der Schweiz und darüber, wie der Bundesrat auf die veränderte sicherheitspolitische Lage reagieren soll. Für Mitte-Nationalrätin Marianne Binder ist klar: «Die Zusammenarbeit mit der Nato ist sehr wichtig.» Sie schliesst auch nicht aus, dass die Schweiz an Nato-Übungen für den Bündnisfall teilnimmt. Auch die FDP und GLP unterstützen dies. «Wir müssen doch den Ernstfall üben», ist GLP-Präsident Jürg Grossen überzeugt. Ausserdem sei die Schweiz eine Sicherheitslücke für die Nato, gemeinsame Übungen seien darum umso wichtiger. FDP-Präsident Burkart stimmt zu: «Es geht darum, dass wir uns besser schützen können.»
Eine Allianz aus SP, Grünen und SVP sieht eine enge Zusammenarbeit mit der Nato kritisch – teils aus verschiedenen Gründen. Für SVP-Präsident Dettling und SP-Vizepräsident Pult geht es darum, dass Bündnisfall-Übungen mit der Nato für die militärische Neutralität der Schweiz heikel sein könnten. Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone kritisiert zusätzlich die Aufrüstung der Armee und die damit einhergehende Aufstockung des Armeebudgets. Anstatt Milliarden zu investieren, solle das Parlament mehr machen gegen hybride Kriegsführung, beispielsweise im Cyberbereich oder bei der Desinformation, betonen Pult und Mazzone.
Diese Woche gab es bereits mehrfach Cyberangriffe auf verschiedene Schweizer Webseiten, zu denen sich eine russische Hackergruppe bekannt hat. Die Angriffe stehen mutmasslich in Zusammenhang mit dem Ukraine-Gipfel auf dem Bürgenstock, der dieses Wochenende stattfindet.