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Armeefinanzen Das Worst-Case-Szenario aus dem VBS

Ein Dokument aus dem VBS zeigt, mit welchen Argumenten dieses den Bundesrat von einem 10-Milliarden-Fonds überzeugen wollte. Es griff dabei auf ein düsteres Nato-Szenario zurück, das eigenen Lageanalysen widerspricht.

Das Aussprachepapier hat es in sich. Im Papier, mit dem Verteidigungsministerin Viola Amherd Ende Juni den Bundesrat von einem 10-Milliarden-Fonds für die Armee überzeugen wollte, wird die Dringlichkeit, der Armee viel schneller als bisher beschlossen zusätzliche Mittel zu verschaffen, hauptsächlich mit einem «Szenario, das in Nato-Kreisen wiederholt diskutiert wird» begründet.

Es ist ein düsteres Szenario, gemäss dem «das politische System in Europa bis zu einem möglichen Bruch strapaziert» werden könnte. Und das innert weniger Jahre. «10 vor 10» hat das VBS-Papier gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten. Das VBS schickte es Ende Juni in die Ämterkonsultation.

Szenario: Flüchtlingswelle setzt Schweiz unter Druck

Das beschriebene Szenario geht davon aus, dass Donald Trump im Falle der erneuten Wahl zum US-Präsidenten die Ukraine fallen lassen könnte. Diese müsste nach wenigen Monaten kapitulieren. «Nach konservativen Schätzungen könnte dies bis zu fünf Millionen Flüchtlinge nach Westeuropa auslösen», so das VBS im Papier an den Bundesrat.

Zusätzlicher Migrationsdruck könnte durch eine «durch Russland orchestrierte Destabilisierung des Westbalkans» sowie durch Regimewechsel in Afrika entstehen. Zeithorizont drei bis acht Jahre. Die Folgerung des VBS: «Um auf dieses vorbereitet zu sein, muss die Verteidigungsfähigkeit bis spätestens Ende der 20er-Jahre wiederhergestellt sein.»

Armee soll schneller aufgerüstet werden

Das VBS ist gemäss dem Papier nun offenbar der Meinung, die Nachrüstung der Armee müsse zehn Jahre früher abgeschlossen sein, als dies bisher Bundesrat und Parlament beschlossen haben. Das ist brisant, hatte doch Viola Amherd vor einem Jahr in der Sicherheitspolitischen Kommission des Ständerats noch gesagt: «Wir sind einverstanden damit, die Erhöhung auf 1 Prozent zu verschieben (…).» Die NZZ am Sonntag hatte Anfang Jahr Auszüge aus dem vertraulichen Kommissionsprotokoll publiziert.

Und auch in der jährlichen «Beurteilung der Bedrohungslage», die das VBS ebenfalls Ende Juni publiziert hat, wird das Nato-Szenario mit keinem Wort erwähnt, und auch sonst ist die Beschreibung der Sicherheitslage weit entfernt vom alarmistischen Ton des Aussprachepapiers. Wie passt das zusammen?

Szenario stösst auf Unverständnis

Auf die Frage nach dieser fehlenden Kohärenz gibt das VBS auf Anfrage zwar keine Antwort, begründet das düstere Szenario im Antrag an den Bundesrat aber so: «Im Aussprachepapier diente das Szenario dazu zu zeigen, dass die sicherheitspolitische Lage sich in den vergangenen Monaten nochmals verschlechtert hat und diese Einschätzung international geteilt wird.»

Soldaten in Tarnkleidung mit Waffen in Nebel
Legende: Mit einem Worst-Case-Szenario wollte das VBS den Bundesrat von einem 10-Milliarden-Fonds für die Armee überzeugen. Das Geld hätte etwa in die schnellere Aufrüstung fliessen sollen. KEYSTONE/Gaetan Bally

In der Ämterkonsultation reagierten mehrere Departemente mit Unverständnis auf die Art und Weise, wie der Antrag aus dem VBS begründet wurde. So bezeichnet das Uvek von Bundesrat Rösti das beschriebene Szenario als «ziemlich mutig». Und für das EJPD von Bundesrat Jans sind diverse Aussagen «nicht nachvollziehbar und problematisch».

So reagieren Mitglieder des Parlaments

Box aufklappen Box zuklappen

Hat das VBS mit einem Worst-Case-Szenario versucht, Druck zu machen im Bundesrat für einen 10-Milliarden-Fonds? Mitte-Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger (LU) will davon nichts wissen und nimmt ihre Parteikollegin Viola Amherd in Schutz: «Für mich ist die Tonalität in diesem Papier überhaupt nicht dramatisch. Für mich ist sie absolut realistisch.»

Für FDP-Ständerat Josef Dittli (UR) hingegen operiert das VBS mit einem «abenteuerlichen Schwarzmalerszenario», das sich «in keiner Art und Weise mit dem deckt, was wir im Parlament vom Bundesrat gesehen haben». Abgesehen davon habe sich die Schweiz auf eigene Lageanalysen zu stützen und nicht auf Szenarien, die in Nato-Kreisen die Runde machen.

Kritisch äussert sich auch Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey (FR): «Dieser Zickzackkurs ist nicht hilfreich. Das VBS will offenbar einfach seinen 10-Milliarden-Fonds mit dem Kopf durch die Wand durchbringen.»

Das VBS war schliesslich nicht damit erfolgreich, den 10-Milliarden-Fonds durchzubringen. Der Bundesrat schickte den Antrag zurück an die Absenderin.

10 vor 10, 22.08.2024, 21:50 Uhr

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