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Armut und Teuerung «Schon ein Lachsbrötchen ist unerschwinglich für uns»

Die Teuerung trifft alle, aber nicht alle gleich schwer: Das Beispiel von Markus und seinen zwei Kindern.

Markus (39) kommt mit einem Lachen und einem offenen Schuh auf uns zu. «Ich kann den Schuh nicht schliessen, weil ich seit zwei Monaten ein Hühnerauge habe.» Dieses verarzten zu lassen, liegt nicht drin, da er sich den Selbstbehalt für den Arztbesuch nicht leisten kann. Also bleibt der Schuh offen, damit der Schmerz erträglich ist.

Markus ist alleinerziehender Vater mit zwei Kindern. Einen Job hat er zwar, doch sein Lohn ist nur wenig besser als das, was ihm die Sozialhilfe zahlen würde. Immerhin. Deshalb beisst er sich trotz Hühnerauge durch.

30 Rappen mehr machen schon einen Unterschied

«In unserer Küche hat es viel zu viel Teigwaren, aber es ist jenes Produkt, auf dem immer mal wieder ein roter Punkt prangt.» Ein roter Punkt bedeutet, die Ware ist verbilligt. «Beim Ladenbesuch gehe ich immer nur diesen roten Punkten nach, für mehr reicht es nicht.» Seit alles teurer geworden ist, erst recht nicht mehr. Ob ein Lebensmittel plötzlich 30 Rappen oder einen Franken mehr kostet, macht bei Markus’ angespanntem Budget schon einiges aus.

Seit alles teurer wird, überarbeiten die Leute ihr Budget noch häufiger als vorher.
Autor: Michael Frei Sozialdienst Caritas Basel

Michael Frei vom Sozialdienst der Caritas Basel kennt Dutzende solcher Beispiele wie jenes von Markus. Seit die Teuerung merklich angezogen hat, sei die Situation für rund 20'000 Personen in den beiden Basler Halbkantonen noch schwieriger geworden. «Diese Leute überarbeiten ihr Budget jetzt noch häufiger als früher», sagt er. Einmalige Ausgaben werden in den kommenden Monat verschoben, dafür ein anderer Budgetposten gestrichen.

Besonders schwierig ist die Situation bei Alleinerziehenden: Diese würden bei sich noch mehr sparen, um den Kindern hin und wieder eine ausgewogenere Mahlzeit hinstellen zu können. «Da Früchte, Gemüse und Fleisch teurer geworden sind, fällt ihnen das aber noch schwerer als früher.»

Frau mit fast leerem Einkaufskorb
Legende: Bei jedem Einkauf müssen sich Armutsbetroffene drei Mal überlegen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Erst recht, seit alles teurer wird. Keystone

Frei stellt fest, dass viele Armutsbetroffene mit der Teuerung ihre Wünsche für den alltäglichen Bedarf noch mehr heruntergeschraubt haben. «Den Wunsch nach einer Flasche Wein für einen besonderen Anlass haben die meisten komplett aufgegeben.»

Markus hofft, dass in den Lebensmittelabteilungen die roten Punkte häufiger auftreten, damit er und seine beiden Kinder etwas mehr Abwechslung auf dem Tisch haben. Und sein grösster Wunsch: «Wieder mal in ein Lachsbrötchen beissen. Aber das ist unerschwinglich für uns.»

Zahlen zur Armut in der Schweiz

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Im Jahr 2020 waren laut der Hilfsorganisation Caritas schweizweit 722'000 Menschen von Armut betroffen. Unter ihnen sind überdurchschnittlich viele Alleinerziehende und Menschen mit geringer Ausbildung, die nach einem Stellenverlust keine neue Arbeit finden. Darunter sind aber auch 158'000 Männer und Frauen, die trotz Erwerbsarbeit arm sind – sogenannte working poor.

Eine armutsbetroffene Einzelperson hat in der Schweiz maximal 2279 Franken monatlich zur Verfügung, eine vierköpfige Familie 3963 Franken. Damit müssen Wohnkosten, Krankenkasse und Essen bezahlt werden, ausserdem Kleidung, Kommunikation, Energieverbrauch, laufende Haushaltsführung, Gesundheitspflege, Verkehrsauslagen, Körperpflege, Unterhaltung und Bildung sowie Vereinsbeiträge und Hobbys. Für Letzteres reicht es in der Regel nicht mehr.

Regionaljournal Basel, 14.06.22, 17:30 Uhr ; 

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