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Artenvielfalt in der Schweiz Jede Heuschrecke hat ihren eigenen Gesang – wenn es sie noch gibt

Wirtschaftlich unproduktive Flächen gibt es in der Schweiz immer seltener. Für die Biodiversität ist dies verheerend. Immer mehr Planzen- und Tierarten sind vom Aussterben bedroht. Das illustriert das Beispiel der Heuschrecken.

Das Wichtigste in Kürze

  • Jeder zweite Typ von natürlichem Lebensraum ist in der Schweiz gefährdet.
  • Das führt dazu, dass jede dritte Tier- und Pflanzenart vom Aussterben bedroht ist.
  • Der Bundesrat will ab Herbst mit dem Aktionsplan Biodiversität Gegensteuer geben.

In Sachen Umweltschutz sehen sich Schweizerinnen und Schweizer gerne als Weltmeister. Beim Recycling mag das stimmen, und ebenfalls ansatzweise beim Tierschutz. Auch dem Wald geht es in der Schweiz recht gut. In anderen Bereichen allerdings sieht es düster aus.

Artenschutzprogramme ohne Erfolg

Vor allem beim Artenschutz hinkt die Schweiz den meisten vergleichbaren Ländern arg hinterher. Jede dritte Tier- und Pflanzenart ist bedroht. Das zeigt ein jüngst veröffentlichter Bericht des Bundes. Unsere Landschaft wird immer eintöniger, wie das Beispiel der Heuschrecken vor Augen führt.

Seit 2012 fördert der Bund die Artenvielfalt in der Schweiz. Mit geringem Erfolg, wie der Bericht zum Artenschutz zeigt. Die Hälfte aller Lebensraumtypen in der Schweiz und jede dritte Tier- und Pflanzenart ist bedroht.

Ein buntes Heuschrecken-Orchester

Heuschrecken zirpen am Südhang des Bözbergs. Für Florin Rutschmann von Pro Natura ist das ein Konzert mit vielen verschiedenen Musikanten. «Im Moment dominiert das Geräusch der Nachtigall-Grashüpfer. Man hört auch den Gemeinen Grashüpfer. Wenn man sich etwas bewegt, hört man auch Rösles Beissschrecke oder die zweifarbige Beissschrecke singen.»

110 Heuschreckenarten gibt es in der Schweiz. Weltweit sind es gegen 20'000. Jede hat ihren ganz eigenen Gesang. Rutschmann, der die Schutzgebiete von Pro Natura Aargau betreut, kennt sie alle. Er kennt auch jene, die gar nicht singen können, zum Beispiel die Lauchschrecke: «Die Lauchschrecke ist stumm, das heisst, sie macht kein Geräusch. Aber sie ist hübsch zum Anschauen.»

Die Lauchschrecke ist nicht nur eine hübsche, sondern auch eine recht vitale Art. Sie kann auch auf etwas intensiver genutzten Feldern überleben. Die meisten Heuschreckenarten aber brauchen Magerwiesen, wo viele verschiedene Gräser und Kräuter wachsen, wo nicht gedüngt und selten gemäht wird.

Unproduktive Flächen sind rar geworden

Solche im modernen Sinn wenig produktive Landschaften aber in der Schweiz sind selten geworden und damit auch Orchideen und Wildgräser, Schlangen, Schmetterlinge und eben Heuschrecken. «40 Prozent aller Arten von Heuschrecken sind gefährdet. Die einen etwas mehr, die anderen etwas weniger», sagt Rutschmann.

Das hat Folgen weit über die Insekten hinaus. «Heuschrecken allgemein sind eine wichtige Nahrungsgrundlage zum Beispiel für Vögel. Auch viele Spinnen und Reptilien ernähren sich von Heuschrecken.» Wenn ein Glied wegfällt, ist die ganze Kette gefährdet.

Wir brauchen 1,5 Milliarden Franken, um nur die nationalen Biotope so zu sanieren, dass sie wieder leistungsfähig sind.
Autor: Franziska Schwarz Vizedirektorin des BAFU

Bereits ist die Hälfte aller Lebensraumtypen in der Schweiz bedroht und als Folge davon jede dritte Pflanzen- und Tierart: «In der Schweiz geht es der Biodiversität schlecht», stellt Franziska Schwarz, die Vizedirektorin des Bundesamtes für Umwelt (BAFU), fest.

Die Umwelt erbringt Leistungen für uns

Das sei nicht nur ein Umwelt-, sondern auch ein Wirtschaftsproblem, argumentiert Schwarz: «Es gibt sehr viele Leistungen, die nicht mehr erbracht werden können, wenn der Verlust weiterhin so fortschreitet.»

Grosse Genpools gewährleisten gesunde Nahrung. Intakte Böden filtern das Trinkwasser. Auengebiete schützen vor Überschwemmungen. Das sind alles Leistungen, die die Natur erbringt. Je eintöniger die Natur, desto gefährlicher wird es und teurer: «Wir brauchen 1,5 Milliarden Franken, um nur die nationalen Biotope so zu sanieren, dass sie wieder leistungsfähig sind.»

Grün und gelb sind die Wiesen in der Schweiz. Das zeigt auch, dass die Artenvielfalt nicht gross ist. Denn die Artenvielfalt ist farbig.
Autor: Franziska Schwarz Vizedirektorin des BAFU

Dabei müssten die geschützten Flächen nicht nur verbessert, sondern auch vergrössert werden. Denn in Sachen Artenvielfalt hinkt die Schweiz praktisch allen vergleichbaren Ländern hinterher. Die auf den ersten Blick so hübsche Landschaft gleicht eher eine grüne Wüste: «Wenn man eine Wiese anschaut, ist sie schön, denn sie ist grün und gelb. Aber das zeigt auch, dass die Artenvielfalt nicht gross ist. Denn die Artenvielfalt ist farbig.»

Im Herbst soll nun der seit langem überfällige Aktionsplan Biodiversität des Bundes erscheinen mit konkreten Massnahmen und deren Kosten. Er ist sicher Futter für die politische Debatte und vielleicht, hofft Rutschmann, Überlebenshilfe für bedrohte Tier- und Pflanzenarten.

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