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Atomreaktor Lucens Der Traum von der Schweizer Atombombe

Die Schweiz wollte die Atombombe bauen. Dass es nicht dazu gekommen ist, hat mit der Kernschmelze in Lucens zu tun.

Nicht zuletzt der grösste Atom-Unfall vor genau 50 Jahren in Lucens hat vermutlich verhindert, dass die Schweiz eine Atombombe gebaut hat. Am 21. Januar 1969 kam es im Versuchsatomkraftwerk Lucens (VAKL) im Herzen der Waadt zu einer Kernschmelze. Der Reaktor wurde zerstört, das AKW im Berg stark verstrahlt.

Nach diesem GAU begrub die Schweiz ihre Pläne, Atomkraftwerke von Grund auf selber zu bauen. Der Traum von eigenen Atomwaffen war damit zu Ende, denn auch die Schweizer Armee wollte damals atomar aufrüsten.

Ganz nah dabei war Jean-Paul Buclin, vor 50 Jahren technischer Direktor des VAKL. Anfang der 1960er-Jahre baute die Schweiz in Lucens einen Schwerwasserreaktor. Offiziell sollte er für die zivile Atomforschung genutzt werden.

Was wusste Jean-Paul Buclin von militärischen Absichten? «Ich glaube, sagen zu können, dass alle Leute, die am Betrieb hier teilgenommen haben, etwa 100 Leute, und alle, die an Planung und Bau von Lucens gearbeitet haben, nach meinem Wissen, nichts davon gewusst haben.»

Landesverteidigung: «Dazu gehören die Atomwaffen»

Im Bundesarchiv hat der Historiker Michael Fischer zur Geschichte der Atomenergie in der Schweiz geforscht. In seinem demnächst erscheinenden Buch deckt er auf, wie nahe die Schweiz am Bau einer Atombombe war:

«Es wäre mit dem Reaktor möglich gewesen, Plutonium zu erbrüten, das man später für Atomwaffen hätte einsetzen können», sagt Fischer.

Öffentlich erklärte der Bundesrat 1958, dass der Armee zur Bewahrung der Unabhängigkeit und zum Schutz der Neutralität die wirksamsten Waffen zur Verfügung stehen müssten: «Dazu gehören die Atomwaffen.»

Protokoll-Text: «Dazu gehören Atomwaffen»
Legende: Zur Verteidigung der Unabhängigkeit «gehören die Atomwaffen», schreibt der Bundesrat. SRF

Es habe damals wirklich ranghohe Offiziere gegeben, zum Beispiel der Generalstabschef Louis de Montmollin, der forderte, «dass man in einem Atomkrieg solche Atomwaffen auch in der Schweiz einsetzen und ohne Rücksicht auf die eigene Bevölkerung in bewohnte Gebiete hineinschiessen könne», sagt Historiker Fischer gemäss seinen Nachforschungen.

Dank der unzähligen unterirdischen Zivilschutzanlagen glaubte sich das Land damals gewappnet für einen zukünftigen Atomkrieg.

Ja, die Schweiz war ein Schwellenland.
Autor: Jürg Stüssi-Lauterburg Historiker

Auch der Historiker Jürg Stüssi-Lauterburg hatte Einblick in geheime Akten, die bis heute noch unter Verschluss sind: «Die Schweiz hatte die Finanzen, das wissenschaftliche und industrielle Know-how und einen gewissen politischen und militärischen Willen gehabt, wenn man denn zu einem solchen Entschluss gekommen wäre, Kernwaffen selber herzustellen zu können. Ja, die Schweiz war ein [atomares] Schwellenland.»

Auch ein im Archiv vorhandenes Protokoll der Landesverteidigungskommission hält 1957 die militärischen Gedankengänge des damaligen Kommandanten der Luftwaffe, Divisionär Etienne Primault, fest:

Wenn man ein Flugzeug hätte wie beispielsweise den Mirage, der fähig sei, mit Atombomben bis nach Moskau zu fliegen, so könnte man sich einen Einsatz auch im Feindesland vorstellen.
Autor: Etienne Primault Fliegerkommandant, im November 1957

Die französische Dassault «Mirage» war der Kampfjet, den die Schweizer Luftwaffe unbedingt anschaffen wollte. Diese Beschaffung habe aber zu massiven Kostenüberschreitungen geführt. «Damit wurde ein riesiger politischer Skandal ausgelöst, der dazu geführt hat, dass die prominenten Vertreter dieser Atomwaffen zurücktreten mussten. Und damit sind die Pläne ab 1964 de facto gescheitert», sagt Historiker Fischer.

Die Mirage-Affäre

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1961 bewilligte das Parlament den Kauf von 100 Kampfflugzeugen des Typs Mirage für 871 Millionen Franken. Nachdem der Bundesrat Nachtragskredite von fast 600 Millionen beantragte, zeigte sich, dass das Parlament nicht über alle Kosten informiert worden war.

Das Parlament fühlte sich hintergangen und beauftragte 1964 die erste Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) seiner Geschichte unter dem Vorsitz des späteren Bundesrats Kurt Furgler. Der PUK-Bericht beschuldigte das Militärdepartement der Täuschung.

Das Parlament beschloss daraufhin eine Reduktion auf 57 Mirage-Flugzeuge. Die Verantwortlichen wurden hart bestraft: Etienne Primault, Kommandant der Luftwaffe, wurde seines Amtes enthoben, Generalstabschef Jakob Annasohn trat zurück und der Vorsteher des Militärdepartements, Bundesrat Paul Chaudet, verzichtete 1966 auf eine weitere Amtszeit. ( Historisches Lexikon der Schweiz )

Ob der Versuchsreaktor von Lucens je militärisch genutzt wurde, lässt sich nicht einwandfrei belegen. Die Schweiz hat seither die internationalen Atomsperr- und Teststopp-Verträge unterzeichnet. Der Traum von nuklearer Grösse ist längst verflogen.

Lucens: Das schlimmste Atomunglück der Schweizer Geschichte

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