Die gebärende Frau auf dem Beifahrersitz – sie musste in der aktuellen Raser-Debatte immer wieder als Paradebeispiel hinhalten: Der Mann mit seiner in den Wehen liegenden Schwangeren rast Richtung Spital und wird dabei geblitzt. Wenn er dabei über 100 km/h innerorts fuhr oder über 200 km/h auf der Autobahn, gilt er als Raser – und muss nach geltendem Recht mindestens ein Jahr ins Gefängnis.
Der Richter hätte keinen Ermessensspielraum, argumentierte die Mehrheit der Parlamentarierinnen in National- und Ständerat, und machte sich in der Frühlings- und Herbstsession an die Aufweichung der Raser-Gesetzgebung.
Nun wären wohl nur die allerwenigsten Fahrer so leichtsinnig, mit einer gebärenden Frau im Auto mit 100 km/h durch ein Dorf zu brettern und damit die Gefahr für die Frau zu vervielfachen. Doch gab die Realität auch immer wieder bessere Beispiele von Personen her, die ohne böse Absichten von den strengen Via-Sicura-Regeln kalt erwischt wurden: Etwa die Hebamme auf dem Weg zu einer dringenden Hausgeburt, ausserorts mit über 140 km/h vom Radarkasten dokumentiert. Da sie mitten in der Nacht unterwegs war, gefährdete sie niemand anderes. Eher im Grenzbereich war hingegen der Motoradfahrer, der bei einem Überholmanöver für wenige Sekunden auf 140 beschleunigte und just in diesem Moment geblitzt wurde. Er musste dafür ein Jahr ins Gefängnis.
Ausnahmen würden schon heute gewährt
Den Richtern fehle Ermessensspielraum, sagen die Kritiker. Das treffe nicht zu, sagt die Organisation Roadcross. «Auch heute kann ein Richter entscheiden, dass ein Fahrer nicht nach dem Raser-Gesetzesartikel verurteilt wird, nämlich, wenn er ohne Vorsatz gehandelt hat», sagt Roadcross-Präsident Willi Wismer.
Solche Ausnahmen würden schon heute immer wieder gewährt. Zudem müssen Raser, die «nur» zu schnell gefahren sind, praktisch nie direkt ins Gefängnis: Die meisten Freiheitsstrafen bei Rasern werden bedingt ausgesprochen, also als Bewährungsstrafe, die erst bei erneutem Fehlverhalten angetreten werden muss.
Dass strenge Regeln gelten, sei nötig für die Abschreckung, sagt die Stiftung Roadcross. Sie hatte 2012 ihre Volksinitiative «Schutz vor Rasern» zurückgezogen, weil im Gegenzug das Parlament den geforderten strengen Raser-Artikel in das Gesetzespaket «Via Sicura» aufnahm. Dank dieser strengen Rasergesetze werden pro Jahr nachweislich rund 17 Unfälle mit Schwerverletzten und Toten verhindert.
Jetzt, wo ihr Rasergesetz aufgeweicht werden sollte, drohte Roadcross mit einem Referendum und einer Volksabstimmung. Denn wenn theoretisch bei jeder Raserfahrt Ausnahmen gemacht werden könnten, würden diese in Zukunft immer öfters eingefordert. Jeder könnte nachts mit 140 ausserorts fahren und dann argumentieren, er habe ja niemanden gefährdet – die Abschreckung des Raser-Artikels wäre weitgehend dahin.
Der Rasergesetz-Kompromiss
In diesem Sinne hat das Parlament nun einen Kompromiss gefunden, der erstaunlicherweise von allen Seiten mitgetragen wird. Die Mindest-Freiheitsstrafe von einem Jahr würde bei Raserdelikten weiterhin gelten, der Fahrausweis-Entzug würde auch in Zukunft mindestens zwei Jahre betragen – die Abschreckung bliebe also erhalten. Trotzdem würden Sonderfälle neu schriftlich im Gesetz festgehalten: Richterinnen dürften bei «achtenswerten Beweggründen» Ausnahmen gewähren. Edle Ritter würden so vor dem Gefängnis verschont.
Umstrittener ist, dass die Mindeststrafe auch dann unterschritten werden dürfte, wenn der Fahrzeuglenker noch keinen Strafregistereintrag wegen Verkehrsdelikten hat. Da Raser oft junge Männer sind, fragt sich hier, ob diese Regelung nicht zu vielen Ausnahmen Tür und Tor öffnet.
Da aber selbst Roadcross beim Kompromiss mit im Boot ist, fehlt jetzt nur noch die Zustimmung des Ständerats. Damit würde das Beispiel der rasenden Schwangeren am Ende für ein Stückchen mehr Verhältnismässigkeit im Schweizer Recht sorgen.