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Ausbau der Stromproduktion «Solarexpress» braucht dringend stärkeres Netz

Der «Solarexpress» droht sich zu verspäten. Das Netz ist, wie befürchtet, für die neuen Strommengen noch zu schwach.

Im Schweizer Alpenraum werden zurzeit einige Dutzend grosse Solaranlagen geplant. Sie sind Teil des «Solarexpresses» und sollen mithelfen, dass die Schweiz künftig im Winter mehr Strom hat.

Jetzt, wo die ersten Baugesuche für solche Anlagen vorliegen, bestätigen sich aber die Befürchtungen: Diese Solaranlagen werden so viel Strom produzieren, dass ihn das vorhandene Netz gar nicht aufnehmen kann, weil es zu schwach ist. Die Verstärkung der Leitungen kann mitunter mehrere Jahre dauern.

Das Beispiel Morgeten

So soll etwa hoch über dem Simmental im Berner Oberland auf 2100 Meter über Meer die Solaranlage Morgeten entstehen. Weit weg von einem leistungsfähigen Stromnetz und weit weg von den Verbrauchern.

Wir müssen sicherstellen, dass die elektrische Energie von der Solaranlage zur Kundschaft transportiert werden kann.

Das werde bei vielen alpinen Solaranlagen der Fall sein, sagt Andreas Ebner, Leiter der Netzplanung beim Energiekonzern BKW. Den Transport der elektrischen Energie von der Solaranlage zur Kundschaft müsse der Konzern sicherstellen.

Hochspannungsleitung.
Legende: Die Leitungen von grossen Solarkraftwerken zur Übertragungsleitung müssen vielerorts erst verstärkt werden. Sie verlaufen oft durch geschützte Gebiete oder Grundeigentum. Keystone / Sigi Tischler

Die Solaranlage Morgeten wird mit ihren 17'000 Solarmodulen vergleichsweise viel Strom produzieren. So viel wie 3'000 Haushalte pro Jahr verbrauchen. Allerdings ist die nächstgelegene Übertragungsleitung, die den Strom aufnehmen könnte, einige Kilometer entfernt.

Deshalb müssen bis dorthin bestehende Leitungen verstärkt und neue Stromkabel verlegt werden. Ebner tippt mit dem Finger auf die Landeskarte, die vor ihm auf dem Tisch liegt: «Die Leitung quert auf einer Länge von zehn Kilometern potenziell viele Schutzgebiete und tangiert die Rechte ganz vieler Grundeigentümer.»

BKW-Netzplanleiter Andreas Ebner+.
Legende: BKW-Netzplanungsleiter Andreas Ebner mit einem Stromkabel, wie es dereinst im Boden verlegt werden soll. SRF / Matthias Heim

Im konkreten Fall dürfte diese Leitung Hunderte von Grundbesitzerinnen tangieren, mit denen die BKW eine Lösung finden muss. Zudem müssen alle notwendigen Bewilligungen eingeholt werden. Das alles dauert erfahrungsgemäss mehrere Jahre. Grundsätzlich ist das Alltag für die Stromkonzerne – wenn da nicht der grosse Zeitdruck wäre.

Peter Stutz ist Solarunternehmer und Mitinitiant der Anlage Morgeten – und er muss möglichst rasch bauen: «Stand heute bauen wir die Anlage im Sommer 2024 und Sommer 2025.» Sofern der Kanton Bern die Anlage bewilligt und keine Einsprachen das Projekt verzögern.

Dieses forsche Tempo beim «Solarexpress» wurde von der Politik so vorgegeben: Ab 2025 müssen die alpinen Solaranlagen bereits eine Mindestmenge Strom einspeisen. Nur so profitieren sie von einem beschleunigten Bewilligungsverfahren.

Obwohl man sich der Lücken im Energiegesetz bewusst war, ging Tempo vor Qualität.
Autor: Peter Stutz Solarunternehmer, Mitinitiant der Anlage Morgeten

Allerdings gilt das explizit nicht für die Anpassungen des Stromnetzes. Aus Sicht von Solarunternehmer Stutz ist das ein grosser Mangel: «Es hat sehr  pressiert im letzten Herbst. Obwohl man sich der Lücken im Energiegesetz bewusst war, ging Tempo vor Qualität.» Nun fehle halt einiges in den Bestimmungen zum «Solarexpress».

Die BKW will nun alles daran setzen, damit das Stromnetz bis 2030 bereit ist. Allerdings ohne Garantie, so Planungsleiter Ebner: «Wir machen es realistisch und möglich, sofern nicht irgendwo Einsprachen gegen die Netzverstärkung gemacht werden oder beim Bewilligungsverfahren noch Auflagen von Behörden kommen, die sich nicht rasch auflösen lassen.»

Und so zeigt dieses Beispiel auch, dass es durchaus möglich ist, dass eine alpine Solaranlage längst fertig ist, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt vollständig ans Stromnetz angeschlossen werden kann.

Energieminister Albert Rösti zum geplanten Beschleunigungserlass:

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Angesichts der drängenden Zeit beim Wechsel zur dezentralen Stromproduktion stellt Energieminister Albert Rösti nächstens den Beschleunigungserlass für den Netzausbau vor. Damit sollen die teils 15 Jahre dauernden Bewilligungsverfahren verkürzt werden.

Dazu müssten die Bearbeitungsfristen kürzer und die Verfahren einfacher werden, sagt Rösti im Interview mit SRF. Als Beispiel nennt er den geplanten Verzicht auf das in der Regel zwei Jahre dauernde Sachplanverfahren bei bereits bestehenden Leitungen. Die Suche nach Alternativen müsste dann nicht mehr erfolgen. Die Beschwerderechte der Bürgerinnen und Bürger bleiben laut Rösti beim beschleunigten Verfahren gewahrt, ebenso das Verbandsbeschwerderecht.

Der Energieminister präzisiert: «Wir wollen im Gesetz festschreiben, dass auf der Netzebene 1 der bestehenden Hochspannungsleitungen das nationale Interesse des Netzes Vorrang vor den nationalen Umwelt- und Naturschutzinteressen bekommt. Es wird nirgendwo in der Landschaft eine neue Netzlinie geben, die Vorrang vor Naturschutzinteressen hätte.»

Echo der Zeit, 01.12.2023, 18:00 Uhr

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