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Widerstand gegen Hochspannungsleitungen im Wallis
Aus Echo der Zeit vom 28.07.2018. Bild: Keystone
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Ausbau des Netzes Stromleitungen sorgen für Unmut im Wallis

Ein Ring soll festgezurrt werden um die Schweiz – die nationale Netzgesellschaft Swissgrid will das Stromnetz ringförmig ausbauen. Kostenpunkt: 2,5 Milliarden Franken.

Einige der wichtigsten dieser Stromleitungen sollen durchs Wallis führen. Der Widerstand dagegen ist jedoch erbittert. Bauen kann die Swissgrid deshalb bisher bloss im Goms – dort entsteht gerade eine Höchstspannungsleitung mit bis zu 380 Kilovolt Spannung.

Das setzt Bauer Helmut Kiechler unter Strom. «Erzählt doch nicht so einen Scheissdreck», schimpft Kiechler. Er meint damit die so genannte «Propaganda» von Swissgrid. «Sie sagen sinngemäss: ‹Ihr könnt sogar froh sein, dass wir euch diese Leitung bauen›», so Kiechler.

Karte mit dem künftigen Stromnetz.
Legende: Ringförmig sieht das Schweizer Stromnetz der Zukunft aus, das so genannte strategische Netz 2025. Swissgrid

Seit kurzem blitzen auf der Talseite gegenüber silberne Riesen aus dem Dunkelgrün der Hügel – Masten bis zu 85 Meter hoch; die neue, noch unfertige Stromleitung von Ernen nach Ulrichen.

Rothirsche in Gefahr

Kiechler ist Bauer in Blitzingen – einem Dorf im Tal. Er ist im Verein Inns Goms aktiv und setzt sich dort für eine intakte Natur ein. Bald wird der Mann mit dem Zöpfchen und der sonnengeküssten Haut zeitweise unter einer Starkstromleitung leben. «Genau hier habe ich mein Vieh und bin dann auch ab und zu da. Es wird interessant, wie sich das auf die Gesundheit meiner Tiere auswirken wird», blickt Kiechler in die Zukunft.

Es gehe ihm aber keineswegs nur um ihn und seine Tiere. «Früher konnte man um diese Zeit den Berg hinaufschauen und man sah bis zu 300 Rothirsche.» Heute seien es vielleicht noch zehn, mit Glück.

Es geht nur noch um Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Der Rest ist scheissegal.
Autor: Helmut Kiechler Bauer

Swissgrid habe zwar versprochen, Mensch, Tier und Land zu schonen. So wollte man zum Beispiel Strommasten bauen, für die kaum Bäume gefällt werden müssen. Doch dann: «Swissgrid kommt und 10'000 Kubikmeter Holz sind weg – ohne mit der Wimper zu zucken. Es geht nur noch um Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft. Der Rest ist scheissegal», ereifert sich Bauer Kiechler.

Die Gemeinden hätten nicht einmal Bescheid gewusst, seien überrumpelt worden. Kahlschlag und Bauerei, sagt Helmut Kiechler, das vertreibe Touristen – dabei seien diese doch so wichtig für die Gegend. «Ich hab selber schon Touristen angetroffen, die offizielle Wanderwege benutzen wollten und wieder zurückkommen mussten. Der Weg war verbarrikadiert mit Holz.»

Wir könnten noch lange reden – die neue Leitung wird trotzdem gebaut. Die Leute hätten sich aber zu spät gewehrt, findet Kiechler. Sie hätten resigniert; glaubten, dass Widerstand zwecklos sei gegen so grosse Vorhaben. «Die Leute erwachen erst jetzt und merken, was eigentlich genau in die Gegend kommt».

Vorwurf an lokale Behörden

Schuld seien aber auch die Walliser Behörden. Sie hätten nicht mit der Bevölkerung geredet und auch keine Entschädigung ausgehandelt. Allerdings sind die lokalen Grössen machtlos, denn über solche Stromleitungen entscheidet der Bund.

«Ich sage nicht, dass die lokalen Behörden das Ganze hätten verhindern können. Aber sie hätten es besser machen können». Geld und Wissen wären da, um die Leitungen unter die Erde zu verbannen, sagt Kiechler – und startet seinen Jeep.

Blick ins Tal
Legende: Die Masten der neuen Stromleitung ragen aus dem steilen, unwegsamen Gelände. SRF

Er schnallt sich erst an, als wir schon unten im Tal sind; vielleicht lauert ja eine Polizeikontrolle. Hier, wo es Kirchen aus dem 11. Jahrhundert gibt, hier will tatsächlich niemand etwas ins Mikrofon sagen zur Stromleitung.

Auf dem Dorfplatz von Ernen wechseln wir in ein anderes Auto, ein modernes, eines mit Klimaanlage. Vier Männer von Swissgrid sitzen darin. Versteht Projektleiter Fritz Hug den Unmut der Gomser? «Klar verstehe ich das. Aber der andere Aspekt ist die Notwendigkeit vom Netz.»

Auf einem Umschlagplatz werden Lastwagen mit Stahl beladen.
Legende: Auf dem Umschlagplatz im Tal wird tonnenweise Stahl vorbereitet für den Helikopter-Transport in die Hügel. SRF

Wir fahren auf der Schattenseite des Tals in die Höhe – Schottersträsschen, Autos von lokalen Baufirmen stehen im Weg. Diese bauen mit an der Leitung.

Doch zuerst gehen wir den mühsamen Weg der Bauarbeiter – senkrecht fällt der Hang ab unter unserem Trampelpfad. Ein kleiner Motor dröhnt. Man braucht ihn für den mobilen Kran, der hilft, das Gerüst aus Stahl aufzubauen, das hier aus dem Wald herauswächst.

Fünf Männer hängen und hämmern hoch oben in den Seilen, gesichert wie Bergsteiger. «Drei bis vier Stunden bleiben die Männer schon auf dem Mast oben», sagt der Bauleiter. 57 Masten werden sich bald durch die Gegend schlängeln, nächstes Jahr soll die Leitung in Betrieb gehen.

Bauarbeiter arbeiten an einem Strommast.
Legende: Speziell ausgebildete und gesicherte Bauarbeiter richten pro Woche einen Strommast auf. SRF

Geplant hat man sie 30 Jahre lang. Jetzt sei sie dringend, sagt Projektleiter Fritz Hug. «Wir brauchen sie für den Transport ins Mittelland und den Transport ins Tessin.»

Ausserdem entstehen im Wallis gerade riesige Wasserkraftwerke – damit man ihren Strom abtransportieren könne, auch ins Ausland, brauche es neue Leitungen. Doch: Es gibt ja noch andere so genannte Stromautobahnen im Land; warum also eine neue in unberührtem Gebiet?

Swissgrid fürchtet Engpässe

«Es ist nicht die einzige Leitung, die in den Norden oder den Süden geht. Es wird andere Flüsse geben, wo es aber auch zu Engpässen kommen wird, wenn nach der Netzberechnung wie wir sie heute haben, die Ströme abgeführt werden müssen», sagt Hug.

Engpässe im Stromnetz. Davor hat Swissgrid Angst, darum baut sie in den nächsten Jahren das Schweizer Netz aus und um.

Die Vorgaben macht die Politik – und die will eine möglichst selbständige Schweiz. Deshalb sollen sich West- und Südschweiz primär über Leitungen aus der Deutschschweiz versorgen. Deshalb ist es kaum Thema, dass der Strom auch aus Italien kommen könnte, zumindest teilweise. Dort stehen nämlich grosse Gaskraftwerke, erbaut auch mit Geld aus der Schweiz.

So ein Netz für eine selbständige Schweiz kostet viel Geld – da ist klar, dass nicht viele Stromleitungen unter die Erde verlegt werden. Denn unterirdische Leitungen sind fünf- bis zehnmal so teuer wie überirdische.

Widerstand kam zu spät

Die Swissgrid-Leute behaupten aber nicht, alles richtig gemacht zu haben. Zum Beispiel bei den Rodungen oder bei der Information der Bevölkerung. «Es ist uns bewusst, dass wir das noch besser machen können und auch wollen», sagt Swissgrid-Sprecher Jan Schenk. Er fährt jetzt weiter ins Unterwallis. Dort will Swissgrid die Fortsetzung der Gomser Leitung bauen – und Schenk muss die Bevölkerung überzeugen.

Karte mit den geplanten Leitungen im Wallis.
Legende: Im Wallis sind einige der wichtigsten Leitungen des Landes geplant. Swissgrid

Einige Abschnitte der Leitung im Unterwallis warten auf ihre Bewilligung, andere warten auf Gerichtsurteile. In Grône etwa wehren sich Mütter dagegen, dass der Strom direkt am Schulhaus vorbeifliessen soll.

Dass der Widerstand im Goms zu spät kam, hat die Leute weiter unten im Kanton aufgeschreckt. Jetzt bekommen sie für ihren Protest Geld aus dem Oberwallis, von Helmut Kiechler und seinem Verein Inns Goms.

Die Schweiz will beste Infrastruktur – der Platz dafür ist aber äussert beschränkt.

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