Rund 50 Kilometer lang ist das Fernwärmenetz in der Stadt Bern derzeit. In den nächsten Jahren will der städtische Energieversorger Energie Wasser Bern (EWB) das Netz verdoppeln. Und das ist, insbesondere im Westen der Stadt Bern, momentan sicht- und hörbar: Es gibt kaum ein Quartier ohne lärmige Baustelle. In rund drei Meter tiefen Gräben werden dicke Rohre für die Fernwärmeleitungen verlegt.
EWB investiert eine halbe Milliarde Franken in den Ausbau des Fernwärmemnetzes im Westen der Stadt. Nochmals so viel Geld will der Energieversorger in ein weiteres Fernwärmenetz im Osten der Stadt investieren.
Auch für ein öffentlich-rechtliches Unternehmen sind das grosse Summen. «Wir sind natürlich darauf angewiesen, dass sich genug Liegenschaften an das Fernwärmenetz anschliessen», sagt Michael Jaun, Leiter Netze bei EWB. Eine Anschlusspflicht gibt es nicht. Damit sich die Investitionen rechnen, müssten rund 80 Prozent der gesamten Fernwärme-Energie abgenommen werden.
Die Sicht des Liegenschaftsbesitzers
Lukas Bürki wohnt in Bümpliz Süd und damit genau im Bereich des geplanten Fernwärmenetzes der Stadt Bern. In seinem Haus möchte er die Gasheizung durch Fernwärme ersetzen. «EWB investiert indirekt eine halbe Milliarde Franken unserer Steuergelder, deshalb ist es auch gut, wenn es genutzt wird», so Bürki. Zudem sei Fernwärme ökologischer.
Er kennt aber auch noch eine andere Sichtweise: Ihm gehört eine Eigentumswohnung in der Strasse gegenüber, in einem Haus mit insgesamt acht Wohnungen und einer Ölheizung. «Als Stockwerk-Eigentümergemeinschaft sind wir eher kritisch gegenüber der Fernwärme», sagt Bürki. Ökologische Fragen stünden nicht im Vordergrund, viel wichtiger sei die Frage nach der Wirtschaftlichkeit.
Dieses Beispiel zeigt das Dilemma bei der Fernwärme: Wer ein Fernwärmenetz plant, sollte den interessierten Gebäudebesitzerinnen und -besitzern zusichern können, dass die Fernwärme kommt.
Das ist aber nur möglich, wenn sich genug Personen für einen Anschluss entscheiden. «Das ist ein typisches Henne-Ei-Problem», sagt ZHAW-Energieexperte Jürg Rohrer. Weil das Risiko gerade zu Beginn relativ hoch sei, seien gerade städtische Energieversorger dazu prädestiniert, diese Investitionen zu tätigen, so Rohrer.
Im Fall des Fernwärmenetzes im Westen der Stadt Bern ist Michael Jaun von Energie Wasser Bern optimistisch, dass genügend Anschlüsse realisiert werden können. «Es gibt viele Kundinnen und Kunden, die auf erneuerbare Wärmequellen setzen möchten», so Jaun. Rund ein Drittel der benötigten Anschlüsse sei bis jetzt zugesichert.
Fernwärme: Basel hat die Nase vorn
Über den ganzen Kanton Bern gesehen beträgt der Anteil an Fernwärme-Anschlüssen im Vergleich mit anderen Energiequellen für Heizungen 3.2 Prozent. Damit liegt der Anteil unter dem Schweizer Durchschnitt von 3.8 Prozent. Im Kanton Zürich beträgt der Anteil an Fernwärme 4.8 Prozent. Mit Abstand am grössten ist der Anteil im Kanton Basel-Stadt mit 40.8 Prozent.
Energieexperte Jürg Rohrer geht davon aus, dass es in der Schweiz künftig zwei- bis dreimal so viele Fernwärmenetze geben wird wie heute. Es stehen also in vielen Städten und Gemeinden grosse Investitionen bevor – und auch zahlreiche lärmige Baustellen.