Es war im Januar 1963. Paolo Larizza steigt in Monopoli – das liegt «im Absatz des Stiefels» in Italien – in den Zug. Viele Stunden später steigt er wieder aus. Nun befindet er sich in Lyss, einem Dorf im Berner Seeland. Er ist schockiert: «Das Thermometer zeigte Minus 27 Grad an. Solche Temperaturen bin ich mir als Südländer nicht gewohnt!» Er blieb dennoch, immerhin in seiner Wohnung sei es warm gewesen, erzählt er.
Larizza ist einer von vielen, die damals von Monopoli ins beschauliche Lyss einwanderten. Anfang der 60er-Jahre suchten die Seeländer Fabriken teilweise aktiv nach Arbeitskräften in Italien. Also waren die Aussichten auf einen Job in der Schweiz gut für Paolo Larizza: «Ich wollte einfach noch etwas anderes sehen und erleben, als das, was ich aus Monopoli kannte. Mein Bruder und seine Frau waren damals schon in Lyss und haben mir geholfen, es ihnen gleichzutun.»
Mitte der 70er-Jahre hatte jede sechste Person in Lyss Wurzeln in der Stadt an der Adria. Doch nicht überall waren diese Italienerinnen und Italiener willkommen: Beispielsweise bei einem Fussballmatch zwischen Italien und der Schweiz – bei dem Italien gewann – wurden die italienischen Fans in einem Restaurant beleidigt und herausgeworfen.
Auch die politische Stimmung im Land war damals schwierig. Die Schwarzenbach-Initiative zielte darauf ab, dass die ausländischen Staatsangehörigen höchstens zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen sollten. Die Vorlage scheiterte zwar schlussendlich an der Urne, aber 46 Prozent der Bevölkerung stimmte dafür.
Integration ist nötig, aber wie?
«Ich merkte, ich muss mich anstrengen, um mich zu integrieren. Ich besuchte beispielsweise Deutsch-Abendkurse, um mit den Leuten reden zu können», erzählt Paolo Larizza heute auf Berndeutsch. Aber das allein sei nicht genug gewesen. Er wollte sich und seinen Landsleuten den Weg zur erfolgreichen Integration ebnen. Mit diesem Ziel vor Augen ruf Larizza beim damaligen Lysser Gemeindepräsidenten an. Sein Vorschlag: Lyss und Monopoli sollen Schwesterstädte werden. Dass sie sich verbünden, eine Beziehung zueinander pflegen und einander besser kennenlernen. Der Lysser Gemeinderat sagte zu. Darauf folgte ein Anruf an den Monopolitaner Stadtpräsidenten. Auch er sagte ja.
1983 unterzeichneten die beteiligten Politiker eine entsprechende Erklärung. Das Ganze wurde im Fernsehen live übertragen, das Interesse an der Verschwesterung war gross.
«Von da an ging es aufwärts», sagt der heutige Gemeindepräsident Andreas Hegg. «Ab da waren die Italiener bei uns akzeptiert, sie gehörten dazu.» Die Partnerschaft der Kommunen äusserte sich auch darin, dass man sich gegenseitig besuchte. Und in den folgenden Jahren reisten mehrere Schulklassen von der Schweiz nach Italien, um sich die Stadt am Meer anzuschauen.
Die Partnerschaft in Bildern
Und heute?
Paolo Larizza ist 79-jährig. «Nicht mehr der Jüngste», wie er selbst sagt. Er gehört zur ersten Generation Italienerinnen und Italiener in der Schweiz. Die zweite Generation interessiere sich schon viel weniger für die Heimat und die Verschwesterung, sagt er.
«Wir müssen die Beziehungen weiter pflegen», so Andreas Hegg. Er gibt sein Amt als Gemeindepräsident per Ende Jahr ab. Sein Nachfolger aber werde sich sicher um die Städtepartnerschaft kümmern. Die Bedeutung sei heute aber kleiner als früher. «Die Italiener waren die ersten Ausländer bei uns. Sie haben anderen Bevölkerungsgruppen nach ihnen – Menschen aus dem Balkan, aus Spanien, aus Sri Lanka – den Weg geebnet. Heute sind wir diesbezüglich weiter.»