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Auslaufmodell Wahlkampf? Politikprofessorin: «Wirklich jede Stimme ist wichtig»

Bald bestimmt die Schweizer Stimmbevölkerung, wer ins Parlament einzieht. Gewählt wird zwar erst am 22. Oktober, doch der Wahlkampf ist bereits im Gange.

Isabelle Stadelmann-Steffen, Politikprofessorin an der Universität Bern, spricht über das Potenzial guter Wahlkämpfe und erklärt, wieso es undankbar sein kann, eine Wahlkampagne zu leiten.

Isabelle Stadelmann-Steffen

Politologin

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Isabelle Stadelmann -Steffen ist Professorin für Politikwissenschaften an der Universität Bern. Sie hat den Lehrstuhl für vergleichende Politik inne.

SRF News: Wie überzeugt eine Partei das Stimmvolk?

Isabelle Stadelmann: Zunächst hat der Wahlkampf zwei Funktionen inne. Einerseits wollen Parteien mit der Verbreitung von Informationen potenzielle Wählerinnen und Wähler von sich überzeugen. Andererseits verfolgt man das Ziel, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren. Angesichts der sehr hohen Stabilität des Schweizer Parteiensystems ist dieser zweite Pfeiler äusserst wichtig.

Will eine Partei Erfolg haben, muss sie also vor allem mobilisieren.

Genau. Und dabei ist wirklich jede Stimme wichtig. Denn in der Schweiz können schon sehr kleine Veränderungen über Sitzgewinne oder -verluste entscheiden.

Herz der Schweizer Politik: das Bundeshaus in Bern.
Legende: Herz der Schweizer Politik: das Bundeshaus in Bern. KEYSTONE/Anthony Anex

Deshalb kann man auch nicht einfach sagen, dass Kampagnen vor allem teuer sind und wenig nützen. Es geht auch um das Signal an die Wählerinnen und Wähler, dass man sich tatsächlich um ihre Stimme bemüht.

Wenig liegt gemäss dem neusten SRG Wahlbarometer auch zwischen der FDP und der Mitte. Könnte die Partei von Gerhard Pfister die Liberalen mit einem überzeugenden Wahlkampf überflügeln?

Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Gemäss den Befragungen liegen die beiden Parteien 0.3 Prozentpunkte auseinander, was im Unsicherheitsbereich liegt. Am Wahltag kann es auch anders aussehen. Zudem muss man beachten: Wir haben zwar eine eidgenössische Wahl, aber die Sitze werden in den Kantonen verteilt.

Das bedeutet: Nur, weil eine Partei insgesamt etwas mehr Stimmen holt, muss das nicht heissen, dass sich dies auch exakt so auf die Sitzzahl niederschlägt. Nehmen wir an, dass eine Partei in ein paar wenigen Kantonen abräumt und schweizweit ein paar mehr Stimmen als ihre Konkurrentin holt. Wenn sich deren Wähleranteil aber günstiger auf das ganze Land verteilt oder sie einfach mehr Proporzglück hat, kann es sein, dass letztlich trotzdem diese mehr Sitze im Parlament erhält.

Und der Bundesrat? «Zauberformel ist resistent»

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Die Mitte nähert sich gemäss dem SRG Wahlbarometer der FDP an. Nur noch 0.3 Prozentpunkte trennen die beiden Parteien. Und auch über einen möglichen grünen Bundesratssitz wird seit Jahren debattiert. Steht die Zauberformel, also die Zusammensetzung des Bundesrats aus zwei SVP, SP, FDP-Bundesratssitzen und einem Mitte-Mitglied, auf der Kippe?

Politologin Isabelle Stadelmann-Steffen von der Universität Bern wiegelt ab. «Die Zauberformel ist resistent», sagt sie. Damit sich diese verändere, müssten mehrere Faktoren stimmen. «Zunächst konnten wir immer wieder beobachten, dass erst nach systematischen und über mehrere Jahre etablierten Veränderungen die Zusammensetzung des Bundesrats geändert hat», erklärt Stadelmann-Steffen.

Zudem scheitern Veränderungsversuche oft an der fehlenden Einigkeit jener, die eine Änderung herbeiführen könnten. Stadelmann-Steffen macht ein Gedankenspiel: «Wenn beispielsweise die Mitte mit der links-grünen Ratsseite zusammenspannen würde, könnte der FDP grundsätzlich ein Bundesratssitz entrissen werden».

Allerdings, das hätte die Diskussion über einen grünen Bundesratssitz der vergangenen Jahre gezeigt, seien die Interessen im Mitte-links Lager zu wenig einheitlich, als dass eine gemeinsame Strategie zustande kommen könnte. Schliesslich gehe es bei potenziellen Veränderungen der Zauberformel immer auch um Machterhalt, mit einem Vorteil für jene, die aktuell Macht, beziehungsweise Sitze halten.

Häufig lesen wir auch: Nicht ein guter Wahlkampf, sondern exogene Ereignisse bestimmen, welche Parteien gewinnen und welche verlieren.

Hier ist tatsächlich etwas Wahres dran. Das Umfeld, in welchem Wahlkampf betrieben wird, ist oft entscheidender als die Qualität des Wahlkampfs an sich. Daher kann die Arbeit als Wahlkampfleiterin oder Wahlkampfleiter auch undankbar sein. Letztes Mal hatten wir beispielsweise eine Klimawahl. Die grüne Welle war deshalb sicher nicht nur das Resultat eines guten Wahlkampfs der grünen Parteien, sondern vor allem auch Ergebnis der Themenkonjunktur. Ebenso hat die sogenannte Flüchtlingskrise 2015 der SVP in die Hände gespielt.

Wie viele Prozentpunkte kann ein guter Wahlkampf ausmachen?

Das ist fast unmöglich herauszuschälen. Als Beispiel: Ist eine Partei in einem Thema stark, das gerade gesellschaftlich aktuell ist, lässt sich auch einfacher eine gute Kampagne machen. Welchen Anteil am Erfolg das eine oder das andere hat, lässt sich kaum quantifizieren. Der Wahlerfolg ergibt sich aus einer Kombination vieler Faktoren. Gleichzeitig dürften für unterschiedliche Parteien unterschiedliche Strategien wichtig und wirksam sein.

Das Gespräch führte Pascal Studer.

Wahlbarometer, 05.07.2023, 22:15 Uhr ; 

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