Die Schweiz ist auf einer Gratwanderung zwischen China und USA. Mit den USA sucht die Schweiz Lösungen im Zollstreit, mit China will sie den Freihandel ausbauen. Aussenminister Ignazio Cassis im Interview.
SRF News: Herr Bundesrat, kann diese Gratwanderung gut gehen?
Ignazio Cassis: Es muss. Das ist auch das, was der Bundesrat will. Wir brauchen die EU, die USA und China. Alle drei sind wichtig für unsere Freiheit, Unabhängigkeit und Wohlstand.
Wir kommen aus vier wunderschönen Jahrzehnten zurück in die Realität. Und die ist hart.
Was, wenn die USA sagen: Wir dulden nicht, dass die Schweiz den Freihandel mit China erweitert?
Das war in den Gesprächen mit den USA kein Thema. Ich erwarte auch nicht, dass das passieren wird. So schwarz-weiss ist die Welt nicht. Machtblöcke gab es bereits im Kalten Krieg. Es scheint neu, weil wir aus vier wunderschönen Jahrzehnten kommen. Jetzt müssen wir zurück in die Realität. Und die ist hart und durch Macht geprägt.
Im Zollstreit schnürt der Bundesrat ein Paket mit Angeboten an die USA – etwa bei der Berufsbildung oder im Steuerbereich. Was antworten Sie auf die Kritik von Mitte-Links, dass sich der Bundesrat erpressen lässt?
Es gibt keine Wahl. Die Schweiz ist nicht Weltmacht Nummer eins. Druck gibt es immer. Es geht darum, die besten Lösungen zu finden.
Wir haben 90 Tage Zeit, um mit den USA eine Lösung zu finden. Während diesen Wochen sollten wir alle Störfaktoren vermeiden.
Der Bundesrat hat offenbar aus Rücksicht auf die USA die Regulierung von Social Media auf Eis gelegt. Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy warnte daraufhin vor einem Einknicken vor den USA.
Das ist kein Einknicken. Jetzt müssen einfach die wichtigeren Sachen zuerst kommen. Wir haben 90 Tage, um eine Lösung mit den USA bei den Zöllen zu finden. Während dieser Wochen sollten wir alle Störfaktoren vermeiden. Wir sollten strategisch unterwegs sein und uns nicht beirren lassen von anderen Sachen.
Es geht bei der Regulierung auch um Sicherheit – um Schritte gegen Hassrede und Gewaltpropaganda.
Das Thema bleibt wichtig. Ob das jetzt aber im Mai oder September entschieden wird, ändert die Welt nicht.
Die Regelungen kommen also?
Es ist klar, dass der Bundesrat darüber entscheiden wird.
China macht ebenso Druck wie die USA. China will verhindern, dass das Schweizer Parlament Regeln beschliesst gegen Übernahmen von Schweizer Konzernen durch chinesische Staatskonzerne. Dulden Sie solchen Druck?
Es geht nicht um Dulden, es geht um Realität. Die reale Welt ist nicht die, die man sich vorstellt. Die reale Welt hat mit Krieg, Blut, Tod und Waffen zu tun. Die Schweiz muss sich in der realen Welt bewähren. Mit dem Völkerrecht kann sie ihren Weg gehen. Wir haben mit China eine freundschaftliche Beziehung. China hat es nicht gern, wenn wir zum Beispiel einen Bericht machen über die Uiguren. Darüber diskutieren wir auch unter vier Augen. Wenn die Beziehung grundsätzlich gut ist, kann man sich auch unangenehme Dinge sagen.
Wir können China nicht ändern.
Sie erwähnen den Bericht zu Uiguren und Tibetern. Der Bundesrat stellt darin fest, dass diese Minderheiten auch in der Schweiz überwacht und bedroht werden. Von Aussen hat man den Eindruck: Der Bundesrat spricht das mit China an, aber es hat keine Folgen.
Wir können China sagen, dass wir es nicht dulden. Und dass wir alles machen, was wir hier in der Schweiz tun können. Aber wir können China nicht ändern. China ist China, die Schweiz ist die Schweiz.
Die Linke fordert zum Beispiel, dass die Schweiz die Zusammenarbeit beim Freihandel nicht ausbaut.
Wenn das die Wellenlänge ist, mit der wir die Beziehungen zu anderen Ländern gestalten wollen, dann können wir die Schweiz schliessen und zu Hause bleiben. Nur wären dann unsere Freiheit, Wohlstand und Sicherheit nicht mehr gegeben.
Das Gespräch führte Dominik Meier.