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Ausweichverkehr Schweizer Premiere mit automatischen Bussen für Stau-Umfahrer

Von Ausweichverkehr geplagte Gemeinden schauen nach Birsfelden BL: Dort gibt es jetzt auf Quartierstrassen automatisch Bussen.

Seit Montag sind sie eingeschaltet, die Bussen-Kameras auf Birsfelder Gemeindestrassen. Wer einem Stau auf der Hauptachse ausweicht und durch Quartiere fährt, muss neu 100 Franken bezahlen. Die Fahrzeugnummern werden automatisch mit einer Liste der Anwohnerschaft und anderer Berechtigter abgeglichen.

Wer nicht darauf steht und innert weniger als 15 Minuten die Gemeindestrassen wieder verlässt, bekommt einen Bussenzettel zugeschickt. In dieser flächendeckenden Form ist das System laut der Gemeinde eine Schweizer Premiere.

Stau auf der A2 vor Basel
Legende: Der Verkehr stockt oft bei der Autobahn-Verzweigung Hagnau/St. Jakob vor Basel (Archivbild). Ortskundige weichen auf Strassen in Birsfelden aus. SRF

Birsfelden mit seinen gut 10'500 Einwohnerinnen und Einwohnern leidet darunter, dass die Autobahn A2 vor Basel sehr oft verstopft ist. Dann staut sich der Ausweichverkehr nicht nur auf den Hauptstrassen der Gemeinden, sondern sucht Schleichwege auch via Wohnquartiere.

Zwar hatte Birsfelden schon bisher die Durchfahrt wochentags am Feierabend untersagt, doch die Verbotsschilder haben zu wenig genützt, und die Durchsetzung war enorm aufwendig.

Taxis und Blaulichtfahrzeuge berechtigt

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Für die Durchfahrt berechtigt sind alle Einwohnerinnen und Einwohner von Birsfelden sowie des direkt angrenzenden Freulerquartiers von Muttenz. Ebenso ansässige Unternehmen und Institutionen, Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs, gekennzeichnete Taxis sowie Blaulichtfahrzeuge wie Polizei, Feuerwehr und Sanität.

Laut der Gemeinde können zudem Firmen im Gebiet des Birsfelder Rheinhafens für Mitarbeitende, die mehr als 7.5 Kilometer entfernt wohnen, befristete Durchfahrtsbewilligungen für Spezialfälle beantragen.

Das Reglement für das neue System hat die Gemeindeversammlung beschlossen.

Das neue automatische System soll effizient und einfach sein. Das Durchfahrtsverbot gilt jeden Tag und rund um die Uhr; es tangiert aber zum Beispiel Besuche oder Einkäufe im Dorf nicht, dank der Viertelstunde Zeitlimite.

Die Kameras erfassen laut Gemeinderätin Désirée Jaun nur die Autonummern, keine Gesichter. Anregungen der kantonalen Datenschutzfachstelle hätten sie umgesetzt.

Verkehrskamera in Birsfelden
Legende: An der Rückseite eines Verkehrsschildes ist ganz oben die Kamera, die den Verkehr scannt, in einem unscheinbaren dunkelgrauen Kästchen aufgehängt. SRF / Martina Inglin

Das Birsfelder System stösst auch andernorts auf Interesse: Die Nachbargemeinde Muttenz auf der anderen Seite der A2 hat schon vor Monaten angekündigt zu prüfen, ob es auch auf ihren Gemeinde­strassen nützlich sein könnte.

Und auf der anderen Seite der Birs hat die Basler Regierung eine Frage aus dem Parlament auf dem Tisch, ob Fahrverbote samt Bussen-Kameras auch für von Ausweichverkehr betroffene Basler Strassen ein brauchbarer Ansatz wären. Bereits aufgegleist ist ein ähnliches System in Cham ZG; gelten soll es dort nach der Inbetriebnahme einer noch zu bauenden Umfahrungsstrasse, voraussichtlich 2027.

Fahrverbotsschild
Legende: Ortsfremde müssen sich an dieses Schild und die Busse von 100 Franken fürs Missachten ab sofort gewöhnen. SRF / Martina Inglin

Dass das Modell den gewünschten Effekt gegen Ausweichverkehr haben kann, hält Alex Erath, Professor für Verkehr und Mobilität an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW, für realistisch. Jedenfalls sei die Busse mit 100 Franken hoch genug.

Regelung speziell für Navigationssysteme

Erath sieht jedoch auch Tücken: Zum einen sei offen, wie lange es dauere, bis das System in den Köpfen sei. Zum anderen sei das Konzept mit Nummernschild, Wohnort und Zeitlimite speziell, und «dafür gibt es bisher noch gar kein Datenformat», das ohne weiteres in die gängigen Navigationssysteme importierbar sei.

Am ersten Tag jedenfalls habe er das Verbot auf Google Maps noch nicht gesehen. Da seien die Gemeinde und das Astra gefordert, welches die Daten für die ganze Schweiz sammelt und für Navi-Anbieter bereitstellt.

Experte: übertragbar, aber Symptombekämpfung

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Stau auf der A2 vor Basel im Abendrot
Legende: Nicht nur im Abend-Pendlerverkehr braucht es vor Basel Geduld auf der A2. (Archivbild) SRF

FHNW-Verkehrsexperte Alex Erath hält das Birsfelder System im Prinzip für übertragbar, aber jeder Ort habe eigene Gegebenheiten. So staue sich etwa in Graubünden am Ende mancher Skitage der touristische Verkehr auf den Wegfahrtsrouten, und das seien teils nicht Quartier-, sondern Nationalstrassen.

Just Nationalstrassen seien jedoch zunehmend von Staus betroffen, und viele wollten diese umfahren. Darum könne er sich ein Interesse anderer Kantone oder Gemeinden am Birsfelder System «sehr gut vorstellen».

Für Erath ist dieses System nicht die beste Lösung, sondern eigentlich «eine Symptombekämpfung». Sinnvoller fände er, das Problem der Staus nicht bei Ausweichrouten anzugehen, sondern auf der Autobahn.

Erath bevorzugt Mobility Pricing

Er sieht dort zwei Ansätze: Mobility Pricing mit einem Aufpreis zu Pendlerzeiten oder einen Ausbau. Letzteres sei aber im Herbst 2024 abgelehnt worden, auch weil das anderen Zielen entgegenwirke.

So stelle sich für ihn die Frage: «Müssen jetzt alle Gemeinden für sich schauen oder wäre es nicht sinnvoller, dass wir auf nationaler Ebene endlich mal wieder Mobility Pricing ernst nehmen?»

Am ersten Tag mit den Bussen-Kameras ist am Strassenrand in Birsfelden Lob zu hören: «Ich habe grosse Hoffnungen, dass das etwas bringt», sagt ein Passant. Auch wenn der Verkehr so nur verlagert werde, «hat wenigstens die Kasse von Birsfelden etwas davon».

Eine Frau nennt den Schleichverkehr «unerträglich». Sie bezweifelt, dass die Kontrolle gut funktioniere. Und ein Mann befürchtet, dass es wenig bringe: Wenn die Leute 15 Minuten im Quartier im Stau stünden, gebe es ja auch keine Busse.

Regionaljournal Basel Baselland, 1.9.2025, 6:30 Uhr ; 

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