Zum Inhalt springen

Auszählungspanne Fehlerfaktor Mensch: Wie lange zählen wir noch analog aus?

In jüngster Vergangenheit mehren sich Auszählungspannen. Manipulationsfreie Systeme gebe es aber nicht, so der Experte.

Was für eine Achterbahn der Gefühle für die FDP in St. Gallen: Zuerst ist sie die absolut überraschende Wahlsiegerin mit vier gewonnen Sitzen – dann die Verliererin mit –1 Sitz.

Bei den Stadtparlamentswahlen in St. Gallen kam es am Sonntag zu einer Auszählpanne. Der Präsident der Stimmbüros hat mittlerweile sein Amt niedergelegt.

Verschwundene Unterschriften und verrutschte Stimmzettel

Doch der Fall St. Gallen ist keine Ausnahme, sondern reiht sich ein in eine Liste ähnlicher Vorfälle. Am selben Wochenende sind im Bezirk Schlatt-Haslen in Appenzell-Innerhoden Stimmzettel verrutscht. In Zug wurde die im Sommer wegen fehlerhafter Auszählung ungültige Abstimmung zur Transparenz-Initiative nachgeholt. In der Stadtkanzlei Bern wird die Sammelfrist für eine Initiative verlängert, weil 1600 Unterschriften nicht mehr auffindbar sind.

Gestapelte Stimmzettel für die Volksabstimmung am 7. März 2021.
Legende: Sind die «Hüüfeli» korrekt sortiert? Immer wieder kommt es in Schweizer Gemeinden zu Auszählpannen. KEYSTONE/Alexandra Wey

Eigentlich wenig verwunderlich, werden in der Schweiz doch noch fast alle Abstimmungen und Wahlen analog ausgezählt. In anderen Ländern ist das schon kaum mehr vorstellbar. Seit 19 Jahren können die Bürgerinnen und Bürger von Estland zum Beispiel elektronisch abstimmen und wählen. 2023 sind an den Parlamentswahlen erstmals mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen elektronisch eingegangen.

Und die Schweiz? 2004 starteten erste Kantone Versuche mit der elektronischen Stimmabgabe. Im Wahlherbst 2023 kam es zu einer Premiere: Erstmals war ein vollständig verifizierbares E-Voting möglich. Insgesamt 4480 Stimmberechtigte in den Kantonen Basel-Stadt, St. Gallen und Thurgau haben elektronisch gewählt, darunter vor allem Auslandschweizerinnen und -schweizer und wenige in der Schweiz wohnhafte Stimmberechtigte.

Ist das die Zukunft? Wären wir weniger anfällig für falsche Wahlresultate, wenn die Demokratie digitalisiert würde?

Nachvollziehbarkeit, Vertrauen und Legitimität

Für Lucas Leemann, Politologe an der Uni Zürich, ist die Antwort klar: «Nein.» Generell müsse man drei Punkte beachten.

Erstens die Nachvollziehbarkeit: Zwar ist die Wahrscheinlichkeit von Falschauszählungen gering, allerdings gibt es bei einer IT-Panne – die es durchaus geben kann – keine Möglichkeit, das Resultat zu nachzuvollziehen. «Beim jetzigen Modus kann man die Stimmzettel erneut zählen und das Resultat gegebenenfalls korrigieren. Bei der elektronischen Stimmabgabe fällt das weg, da der Staat nicht wissen darf, wer wie abgestimmt oder gewählt hat.»

Zweitens das Vertrauen: Fälle wie jüngst in St. Gallen seien zwar äusserst ärgerlich, könnten aber passieren. «Wichtig ist, dass der Fehler schnell festgestellt und kommuniziert wird.» Fehler, ein Schlüsselwort, wenn es darum geht, was solche Vorfälle mit dem Vertrauen in unsere Demokratie machen. Denn: «In den meisten Fällen handelt es sich um Fehler, und nicht um Manipulationsversuche. Diese seien bei einem zentralisierten System einfacher. «Das digitale System beeinflusst alles, nicht nur einzelne Gemeinden.»

Als dritten und letzten Punkt führt Leemann die Legitimität auf: Es bräuchte nur einen einzigen Fauxpas mit einem elektronischen Abstimmungs- und Wahlsystem und das Vertrauen darin sei zerrüttet. «In dem Moment, wo wir zweifeln, ob der Prozess korrekt ist, wird es schwierig mit der Legitimität.»

Einen Vorteil hat die digitale Demokratie aber sogar für Lucas Leemann: «Das Geld! Die digitale Lösung kann günstiger sein.» Denn Abstimmungen seien extrem aufwändig und dementsprechend teuer.

SRF 4 News, 24.09.2024, 15:19 Uhr

Meistgelesene Artikel