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Automatische Gesichtserkennung Verbrecherjagd mit umstrittenen Mitteln

Vier Schweizer Polizeikorps und der Nachrichtendienst setzen Gesichtserkennung ein. Das ist rechtlich umstritten.

Automatische Gesichtserkennung findet uns in der Menschenmenge und in Millionen von Bildern. Die Schweizer Strafverfolgungsbehörden setzen die Technologie erst zurückhaltend ein. Auf Anfrage der «Rundschau» bestätigen die Kantonspolizei St. Gallen, Aargau, Waadt und Neuenburg, dass sie mit Gesichtserkennung arbeiteten. Die Kapos Bern, Uri, Baselland und Genf verfolgen die Entwicklung «mit grossem Interesse».

Kein Wundermittel

Die Kapo St. Gallen nutzt die Software seit einem Jahr – gemäss eigenen Angaben nur bei schweren Delikten, bisher rund ein Dutzend Mal. Ermittlungsunterstützer Stefan Helfenberger zeigt am Beispiel eines Banküberfalls, wie das Tool funktioniert: Aus den Videoaufnahmen vom Tatort generieren die Ermittler ein Foto des Täters. Mit diesem Referenzbild sucht die Software in allen weiteren beschlagnahmten Aufnahmen aus der Umgebung der Bank nach dem Täter. So lässt sich ermitteln, wo dieser vor und nach dem Überfall war.

Ein Abgleich mit der erkennungsdienstlichen Datenbank ED zeigt zudem, ob der Mann der Polizei bereits bekannt war. Ein Wundermittel ist das Tool nicht: Es gibt lediglich mögliche Übereinstimmungen an – hier präsentiert es 2000 potenzielle Treffer. Denn der Täter trug Hut und Sonnenbrille, die Bildqualität der Videos ist mangelhaft. Die Vorselektion bedeute trotzdem eine grosse Zeitersparnis, sagt Helfenberger. Denn die gesamte ED hätte über 90'000 Personen umfasst.

«Keine Gesetzesgrundlage»

Der Einsatz von Gesichtserkennung durch die St. Galler Kapo sei illegal, sagt die Strafrechtsprofessorin Monika Simmler. «Im Strafprozessrecht ist nur das erlaubt, was explizit vorgesehen ist. Gesichtserkennung ist – anders als etwa Fingerabdrücke oder DNA-Analyse – nicht vorgesehen, darum ist sie automatisch verboten.» Wenn die Polizei solche Mittel nutzen wolle, müsse das Parlament die Strafprozessordnung ändern. Stefan Kühne, Leiter Kriminalpolizei Kantonspolizei SG widerspricht – man sei überzeugt, dass die rechtliche Grundlage ausreiche.

Auch der Nachrichtendienst des Bundes NDB arbeitet mit Gesichtserkennung – einer hochpräzisen und schnellen Software einer Schweizer Firma. Er überprüft damit, ob Personen einreisen, die dem Nachrichtendienst bekannt sind. Auch hier stellen sich rechtliche Fragen. Die Aufsichtsbehörde hat den Einsatz jüngst untersucht und schreibt: «Die AB-ND empfiehlt, die Rechtsgrundlagen für das Gesichtserkennungssystem intern und extern vertieft abzuklären.»

Politik soll entscheiden

Kritiker warnen: Die Technologie eröffne die Möglichkeit der Massenüberwachung. Drei Nichtregierungsorganisationen haben eine Petition für ein Verbot von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum lanciert.

Für Grünen-Präsident Balthasar Glättli zeigt der rechtlich umstrittene Einsatz von Gesichtserkennung: Man müsse den Behörden klare Grenzen setzen. «Eine solche Technologie hat nicht nur gute, sondern auch schlechte Aspekte. Unsere Aufgabe als Politiker ist, dass wir uns nicht von der Technologie treiben lassen, sondern demokratisch entscheiden, was wir wollen und was nicht.»

«Rundschau»

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«Rundschau»

Mehr zum Thema in der « Rundschau » um 20.05 Uhr auf SRF 1.

SRF Rundschau, 26.01.2022, 20:05 Uhr

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