Die Südostbahn (SOB) setzt im Livebetrieb ein Autopilot-System ein. Gewerkschafter Matthias Hartwich sieht darin eine Entlastung für Lokführer und Lokführerinnen – warnt aber, dass diese ihren Beruf nicht verlieren dürfen.
SRF News: Wie schauen Sie auf den Testbetrieb der SOB?
Matthias Hartwich: Es gab vorher schon Testbetriebe. Da hiess es noch «automatische Zugoperation». Jetzt geht man eine Stufe zurück und will dafür den Livebetrieb auf der Strecke ausprobieren. Generell würde ich sagen, wir können uns dem Wandel nicht verschliessen. Das heisst, die Frage ist einerseits, was passiert genau, und andererseits, was bedeutet das für das Personal? Und genau hier sind wir als Gewerkschaft gefordert.
Und was bedeutet das fürs Personal?
Das Risiko bei jeder Automatisierung dieser Art ist natürlich, dass der Beruf ein Stück entleert wird. Wenn Aufgaben abgenommen werden, kann die Aufmerksamkeit sinken. Ferner besteht das Risiko, dass bestimmte qualifikatorische Anforderungen im Alltag nicht mehr gestellt werden. Aber gleichzeitig müssen die Lokführerinnen und Lokführer diese Qualifikation weiter besitzen, weil sie, wenn die Systeme nicht einwandfrei funktionieren, den Zug selbst führen können müssen. Mit anderen Worten: Die Anforderungen an die Qualifikation der Lokführerinnen und Lokführer steigen eigentlich, aber im Alltag kann es eine echte Entlastung bedeuten.
Das aktive Fahren ist also weniger gefragt. Aber bedeutet mehr Überwachung auch weniger Stress?
Nein, im Gegenteil denke ich. Man kann sich auf diese Systeme nie hundertprozentig verlassen. Es geht hier mehr um Unterstützung für die Lokführerinnen und Lokführer. Es geht zum Beispiel um die Aufgabe, die ideale Bremskurve, das Geschwindigkeitsprofil besser zu nutzen, so dass man effizienter und mit weniger Energieverbrauch fährt. Aber gleichwohl muss ja die Lokführerin Herrin des Verfahrens bleiben und alle diese Dinge selbst beherrschen. Und dafür muss sie aufmerksam sein.
In den nächsten Jahren könnte der Beruf möglicherweise auch weniger spannend werden.
Gibt es auch ein gewisses Risiko, dass in naher Zukunft keine Lokführerin mehr vor Ort sein muss, dass ihre Aufgaben von einem Bürostuhl aus gesteuert werden?
Also technisch ist mehr möglich als das, was die Eisenbahnverkehrsunternehmen auch im SOB-Versuchsbetrieb testen wollen. Es gibt zumindest bei S-Bahnen in geschlossenen Systemen den vollautomatisierten respektive den ferngesteuerten Betrieb. Aber im Liveverkehr auf einer Strecke ist das noch mal ganz etwas anderes.
Hinzu kommt: Wir selbst als Kundinnen und Kunden, als Fahrgäste, wir wollen das gar nicht unbedingt. Und das ist auch den Eisenbahnverkehrsunternehmen klar. Das heisst, aktuell gibt es nach meiner Kenntnis überhaupt keine Bestrebungen in Richtung ATO 3 oder 4. ATO 4 meint den vollautomatischen Betrieb. Im Moment geht es hier um eine Stufe im Bereich ATO 2, wo man sagt, das System ist lediglich eine Unterstützung für die Lokführerinnen und Lokführer. Und man muss auch sagen, die Systeme haben eine gewisse Restanfälligkeit. Man denke nur an die Tesla-Fahrer und -Fahrerinnen, die sich blind auf ein autonomes Fahrsystem verlassen haben und dann irgendwo vor einer weissen Wand gelandet sind.
Die Zukunft des Lokführerberufs: Wie sehen Sie die in 15 Jahren?
Also für die nächsten fünf oder zehn Jahre wird es diesen Beruf weiterhin geben. Er wird auf der einen Seite anspruchsvoller, was die Qualifikation angeht. Auf der anderen Seite, und das ist sozusagen das Risiko, könnte der Beruf möglicherweise auch weniger spannend werden.
Das Gespräch führte Nico Bär.