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Bald weniger Zivis «Die Institutionen müssen versuchen, diese Lücken zu schliessen»

Der Bundesrat will die Hürden für den Zivildienst erhöhen. Das kann zu Engpässen in Heimen führen, in denen an sich schon personelle Lücken klaffen, sagt ein Experte.

Zivildienst soll unattraktiver werden – denn der Armee fehlen die Soldaten. In der Betreuung von alten oder behinderten Menschen sind die vielen jungen Helfer allerdings nicht mehr wegzudenken: Rund ein Drittel der Zivildienstleistenden sind in Betagten- oder Behindertenheimen im Einsatz.

SRF News hat darüber mit Daniel Höchli gesprochen, dem Direktor von Curaviva Schweiz, dem Dachverband der Heime und sozialen Institutionen.

SRF: Welche Bedeutung haben die Zivildienstleistenden für Alters-, Pflege- und Behinderteninstitutionen?

Daniel Höchli

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Daniel Höchli ist Direktor von Curaviva Schweiz. Als Branchen- und Institutionenverband vertritt Curaviva Schweiz die Interessen der Heime und sozialen Institutionen aus den Bereichen Menschen im Alter, erwachsene Menschen mit Behinderung sowie Kinder und Jugendliche mit besonderen Bedürfnissen.

Daniel Höchli: Der Einsatz der Zivildienstleistenden ist in der Tat wichtig. Er entsprach 2016 rund 1300 Vollzeitstellen in den Alters- und Pflegeheimen und über 700 Vollzeitstellen in den Behinderteninstitutionen. Dort wird das Fachpersonal entlastet in der Alltagsgestaltung, bei Freizeitaktivitäten, aber auch bei der Führung von Gesprächen. Die Zivildienstleistenden können dort einspringen, wo oft die Zeit fehlt und zur Erhöhung der Lebensqualität der betreuten Menschen eingesetzt werden. Wenn nun weniger zur Verfügung stehen, dann ist natürlich auch diese Unterstützung geringer. Und dann ist es schwieriger für die Betriebe, diese Lücken zu füllen.

Sind die Zivildienstleistenden auch eine Art billige Arbeitskräfte, die Sie zur Verfügung haben?

Ja, das ist so. Aber es sind auch keine Fachleute. Der Fachkräftemangel, der in der Branche herrscht, kann dadurch nicht einfach geschlossen werden, weil die Zivildienstleistenden die fachliche Ausbildung nicht haben. Umgekehrt gibt es auch Tätigkeiten, die wichtig sind in diesen Institutionen, die nach weniger Fachwissen verlangen. Dort wäre es denkbar, andere Personen ohne Ausbildung einzusetzen.

Für die Zivildienstleistenden ist es natürlich auch ein Gewinn an Lebenserfahrung. Sie können Einblick nehmen in Gebiete, die sie sonst nicht kennen, und hier auch sehr viele Lebenserfahrungen mitnehmen in ihr ganzes Leben.

Die Zivildienstleistenden mit ausgebildetem Fachpersonal zu ersetzen, wäre sehr schwierig.
Autor: Daniel Höchli Direktor Curaviva Schweiz

Was würde es denn bedeuten, wenn auf einmal weniger Zivildienstleistende zur Verfügung stehen würden?

Die Institutionen müssten versuchen, diese Lücken zu schliessen; mit anderen Personen mit einer geringen oder ohne Ausbildung. Das könnte zum Teil gelingen, zum Teil hingegen würde diese Arbeit wahrscheinlich nicht mehr geleistet. Die Zivildienstleistenden durch ausgebildetes Fachpersonal zu ersetzen, wäre sehr schwierig, weil da bereits ein Mangel herrscht und da auch die Kosten viel höher sind. Da würde sich die Frage stellen, ob die öffentliche Hand, die hier mitfinanziert, bereit wäre, höhere Kosten zu tragen.

Die Zahl der Zivildienstleistenden hat in den letzten Jahren zugenommen. 2011 waren es noch rund 4700, letztes Jahr waren es 6200, also 1500 Zivis mehr. Da könnte man doch sagen: Früher ging es auch mit weniger Personal.

Das sind individuelle Entscheidungen der Zivildienstleistenden. Die Branche macht keine Werbung, dass möglichst viele Zivildienstleistende kommen. Das sind die Entscheidungen der jungen Menschen. Und es ist natürlich auch eine übergeordnete politische Güterabwägung, ob man das steuern will, ob man mehr Anreize schaffen will, dass die jungen Männer Militärdienst oder Zivildienst leisten. Das ist eine übergeordnete Frage, die aus dem Blickwinkel der Institutionen neutral betrachtet werden kann. Wenn Zivildienstleistende zur Verfügung stehen, dann haben wir natürlich sehr gute Einsatzmöglichkeiten in unseren Institutionen.

Armeechef, Philippe Rebord, sagt, er störe sich vor allem daran, dass sich viele nach der absolvierten Rekrutenschule noch umteilen lassen – es seien bis zu 40 Prozent. Können Sie den Armeechef verstehen, dass er sich ärgert, dass Leute nach der RS in den Zivildienst abwandern?

Die Gewährung der Sicherheit ist auch ein wichtiges Anliegen in unserem Land. Und der Armeechef hat dort eine Aufgabe. Aus seinem Blickwinkel verstehe ich natürlich, dass ihm diese Abwanderung Sorgen macht. Aber wie gesagt: Aus Sicht der Pflege- und Behinderten-Institutionen ist es nicht eine Frage, dass wir Leute von der Armee abwerben. Sondern wir stellen gute Plätze zur Verfügung für junge Menschen, die das machen wollen.

Die Branche macht keine Werbung, dass möglichst viele Zivildienstleistende kommen.
Autor: Daniel Höchli Direktor Curaviva Schweiz

Wenn jetzt der Bundesrat mit seinen Vorschlägen durchkommen sollte, dass Soldaten längeren Zivildienst leisten müssen, wenn sie sich nachträglich umteilen lassen, wie weit würden Sie da gehen? Würden Sie da auch ein Referendum unterstützen?

Das haben wir im Verband noch nicht diskutiert. Es ist auch nicht absehbar, welche Folgen diese Entscheidungen wirklich auf die Zahlen hätten. Das müsste man ganz genau analysieren und aus einer Gesamtsicht beurteilen.

Aber Sie fänden es auf jeden Fall wünschenswert, wenn man beim Status Quo bleiben könnte, das heisst wenn Sie nach wie vor die Zahl an Zivildienstleistenden zur Verfügung hätten, die sie aktuell haben, eben rund 6000 jedes Jahr?

Die Branche ist sehr froh, dass es diese Möglichkeit für junge Menschen gibt. Und wir sind natürlich weiterhin bereit, sehr gute Plätze für diese Zivildienstleistenden anzubieten.

Das Gespräch führte Roger Aebli

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