Adrian Geissmann steht vor seinem Erdbeerfeld in Altwis im Kanton Luzern. Der Landwirt ist 44 Jahre alt, hat ein braungebranntes Gesicht und gegen die Kälte eine Mütze auf dem Kopf. Die Hände stecken in den Hosentaschen. Vor sechs Jahren hat sich Geissmann entschieden, komplett auf Tierhaltung zu verzichten und sein Geld mit Obst und Gemüse zu verdienen.
«Vier Hektaren Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren, Getreide und Spargeln», zählt Geissmann seine Anbauflächen auf. Er und seine Frau hätten sich in den letzten Jahren eine gute Kundschaft aufbauen können. Es laufe eigentlich gut – wenn da nur nicht dieser Wildtierkorridor wäre.
Wanderung der Tiere
Als Wildtierkorridor wird ein gesetzlich festgelegtes Gebiet bezeichnet, das Rehe, Hirsche oder Wildschweine ungehindert durchqueren können müssen. In der Schweiz gibt es über 300 solcher Korridore, sie stellen die Wanderung der Wildtiere und damit ihre genetische Vielfalt sicher. In einem Wildtierkorridor gelten Einschränkungen – etwa bezüglich des Baus von landwirtschaftlichen Anlagen. Die Vorgaben dieser Korridore sind auf Bundesebene geregelt.
Der Bund hat in seiner Planung auch im luzernischen Altwis einen Wildtierkorridor vorgesehen; er soll die beiden Hügelketten Erlosen und Lindenberg verbinden. Dabei durchquert der Korridor auch das Land von Adrian Geissmann. Den Wildtieren muss es also möglich sein, dieses ungehindert zu passieren. Für Geissmann bedeutet dies, dass er neue Obstanlagen nur noch unter sehr strengen Auflagen bauen darf.
Aufschieben der Planung
Existenzbedrohend sei das, so der Landwirt. «Die Anlagen wechseln jährlich den Standort, ich müsste also jedes Mal ein neues Baugesuch einreichen.» Ähnlich wie Geissmann geht es vielen anderen Bauern aus Altwis. Ihr Hauptkritikpunkt ist, dass sie erst seit einem guten Jahr von diesem Wildtierkorridor wissen, obwohl der schon länger geplant sei. Beim Kanton heisst es, dass sich die Gemeinde selbst darüber informieren hätte sollen – und diese Information an die Bauern weitergeben.
Dies sieht Hans Elmiger anders. Er ist Gemeindepräsident von Altwis und auch er weiss noch nicht lange vom Wildtierkorridor. Erst als sie die Planung des neuen Ortsplans angegangen sei, hätten sie dies bemerkt. Elmiger will der Gemeindeversammlung deshalb eine Ortsplanrevision vorlegen, welche den Wildtierkorridor noch ausklammert
Umweltverbände wehren sich
Der zuständige Regierungsrat des Kantons sei einverstanden damit. Unter der Bedingung, dass sich eine Arbeitsgruppe mit dem Wildtierkorridor auseinandersetze und nach einer Lösung suche. «Das werden wir jetzt tun», so der Gemeindepräsident.
Die Gemeinde und der Kanton haben sich also gefunden – doch den Umweltverbänden geht diese Lösung gegen den Strich. Ihrer Meinung nach lässt sich die Planung des Wildtierkorridors nicht aufschieben. Pro Natura, Bird Life und der WWF haben dagegen Einsprache erhoben. «Seit 20 Jahren ist bekannt, dass es diesen Wildtierkorridor braucht», sagt Katja Dürst von Pro Natura, «wir akzeptieren nicht, dass das noch weiter verzögert wird».
Über die Einsprache der Umweltverbände und die Ortsplanrevision wird am Dienstag an der Gemeindeversammlung von Altwis entschieden. Sollte die Einsprache abgewiesen werden, müsse man weiterschauen, sagt Katja Dürst. Klar ist: In irgendeiner Form wird der Wildtierkorridor ganz sicher kommen. Der Bundesrat hält daran fest. Die Frage ist nur wann.