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Bergsturz Val Roseg Geologe: «Die Natur kommt aus dem Gleichgewicht»

Auf über eine Million Kubikmeter wird das Volumen des Bergsturzes im Engadin geschätzt, der am Sonntagmorgen ins Val Roseg donnerte. Damit ist er mit dem Bergsturz in Bondo im Jahr 2017 vergleichbar. Auch wenn der jüngste Bergsturz glimpflich ausgegangen sein dürfte, stellt sich die Frage, was wir aus solchen Bergstürzen lernen können. Flavio Anselmetti, Professor und Geologe an der Uni Bern, weiss mehr.

Flavio Anselmetti

Geologe

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Anselmetti ist Professor für Quartärgeologie und Paläoklimatologie an der Universität Bern. Dort steht er auch dem Institut für Geologie vor.

SRF News: Wie sind wir auf solche Gefahren vorbereitet?

Flavio Anselmetti: Normalerweise macht man ein Monitoring, indem man etwa mit Lasermessungen oder Sensoren in der Wand schaut, ob sich diese bewegt. Dann kriegt man früh Warnzeichen, falls sich ein Ereignis anbahnt. Bei intensivem Regenfall etwa kriegt man so eine Beschleunigung der Bewegungen mit. Man hat eine Vorwarnzeit, die uns angibt, wann der Berg kommen könnte.

Wie weiss die Bevölkerung, wo ein Risiko besteht?

Generell muss man mit einem wachsamen Auge durch die Berge gehen und auf die Anzeichen achten. Steinschlag zeigt häufig an, dass was Grösseres kommen könnte. Ansonsten gibt es Gefahrenkarten, die öffentlich im Internet zugänglich sind. Grundsätzlich kann es in sämtlichen Gebirgsregionen zu Bergstürzen kommen.

Man muss mit einem wachsamen Auge durch die Berge gehen und auf die Anzeichen achten.

Aber ein Hotspot ist zum Beispiel Kandersteg im Berner Oberland, wo sich der spitze Stein bewegt hat. Dort bewegt sich jetzt eine ganze Bergflanke. Auch Brienz ist betroffen oder das Gebirge entlang der Gotthardlinie. Durch das Monitoring kann man aber Bewegungen sehr gut beobachten und voraussagen.

Inwiefern sorgt der Klimawandel für solche Ereignisse?

Der Klimawandel spielt sicher eine Rolle, man muss aber auch sagen, dass sämtliche dieser Massenbewegungen auch ohne Klimawandel stattfinden. Bergstürze und Murgänge hat es in den Alpen immer gegeben. Aber: Mit dem verstärkten Klimawandel kommt die Natur aus dem Gleichgewicht.

Bergstürze und Murgänge hat es in den Alpen immer gegeben.

Zum Beispiel taut auf über 2500 Metern der Permafrost auf: Es kann sein, dass die Erwärmung dort zu neuen Anpassungen der Gebirgsmassen führt. Extreme Niederschläge könnten künftig zunehmen, diese haben auch wiederum einen destabilisierenden Effekt. Aber wie häufig solche Ereignisse in der Zukunft auftauchen, ist noch nicht klar.

Was sind die Risiken ausserhalb des Permafrosts?

Grundsätzlich muss man die Grunddisposition anschauen: Wie empfänglich ist eine Bergflanke für Massenbewegungen? Das hängt zusammen mit Gesteinsart, der Schichtung, mit den Klüften und der Hydrologie. Die Grunddisposition sagt uns, wie häufig oder leicht ein Ereignis stattfinden könnte.

Dann brauchen wir noch einen Auslöser: ein Erdbeben oder ein Extremniederschlag. Der schmelzende Permafrost wäre eine Grunddisposition, die oberhalb von 2500 Metern auftreten kann. Das bedeutet eine latente Erhöhung der Bergsturzgefahr in diesen Höhenlagen, die es in tieferen Gebieten nicht gibt.

Geröll in Schneelandschaft
Legende: Über eine Million Kubikmeter Geröll hat sich am Sonntagmorgen vom Felsen gelöst. KEYSTONE/Gian Ehrenzeller

Welche Lehren kann man aus dem Bergsturz im Engadin ziehen?

Dieses Ereignis ist sicher ein schönes Beispiel. Es war zwar warm die letzten Tage, aber wir sind in einer Höhe, die eigentlich im stabilen Permafrost liegt, auf 3500 Metern. Man muss jetzt genau schauen, was diesen Bergstoss ausgelöst hat, wieso der Berg nachgegeben hat. Die Erkenntnisse werden dann dazu beitragen, dass man die gesamte Gefahrenbeurteilung im Val Roseg oder in einem ähnlichen Tal neu machen kann.

Das Gespräch führte Can Külahcigil.

SRF 4 News, 16.04.2024, 16:13 Uhr ; 

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