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Berufsfachschule Exportschlager «Berufslehre»

Die Schweizer Berufslehre stösst im Ausland auf Interesse: Auch Indien möchte die Berufslehre für seine wachsende Industrie erproben. Acht Schweizer Unternehmen testen in einem Pilotprojekt, ob sich das Berufsmodell bewährt. Ein Besuch vor Ort.

Die Lehrlingswerkstatt von Rieter, einer Tochterfirma des Schweizer Textil-Maschinenbauers liegt in Pune, an der westlichen Küste Indiens. Hochkonzentriert steht Lehrling Shankar Mote an seiner Werkbank und setzt Metallteile einer Spinnereimaschine zusammen. Der 21-Jährige steht kurz vor seiner Abschlussprüfung.

«Diese Ausbildung ist eine goldene Gelegenheit für mich. Ich sammle theoretische und praktische Erfahrung, etwas, das ich in keinem indischen Betrieb und keiner indischen Hochschule bekomme», schwärmt Shankar Mote.

2009 begann Rieter in der Fabrik in Pune seine eigenen Lehrlinge auszubilden. Mit Erfolg. Das zweijährige Diplom als Polymechaniker mit Schweizer Gütesiegel ist sehr begehrt. Nun ist das Pilotprojekt seit 2011 zu Ende. Die Betriebe müssen ihre Lehrlinge seither selbst finanzieren.

Qualifizierte Arbeitskräfte sind rar

Per Oloffson, der Direktor 700-köpfigen Belegschaft in Pune, will diesen Herbst 30 neue Lehrlinge einstellen. «Die Berufsausbildung ist extrem wichtig. Unsere Mitarbeiter bekommen so das nötige Rüstzeug für ihren Beruf, sie arbeiten genauer und besser. Kurz: Es lohnt sich für den Betrieb», sagt Oloffson.

In Indien strömen zwar jedes Jahr fast 13 Millionen Menschen auf den Markt, gute Arbeitskräfte seien aber rar, so Sunil Kale, Leiter der Personalabteilung bei Rieter. «Es gibt einfach nicht genügend Qualifizierte auf dem Markt. Wir aber brauchen Leute an den Maschinen, die genau arbeiten und Fachwissen mitbringen.»

Seine Lehrlinge rekrutiert Rieter bei den staatlichen Industrie-Trainings-Zentren, die Mechaniker, Schweisser und andere Industriearbeiter ausbilden. Praxis-Erfahrung fehle an diesen Schulen jedoch beinahe gänzlich, klagt Sunil Kale von der Personalabteilung.

Lehre bei Schweizer Unternehmen beliebt

In einem Trainings-Zentrum ausserhalb von Pune lungern ein paar Jugendliche in einer grossen Halle herum. Es riecht nach Maschinenöl, aber die Maschinen stehen still. Stromausfall. Ein paar angehende Automechaniker sitzen auf einer Bank vor einer uralten Staatskarosse, dem indischen Ambassador. Das Trainings-Zentrum sei gut, aber die Maschinen alt und die Klassen zu gross, meint ein Jugendlicher.

Er würde deshalb auch gerne bei Rieter eine Lehre machen. Die Schweizer Firma zahle mehr als eine indische Firma, bei der er fast gratis arbeiten müsse und keinen garantierten Job kriege.

Indiens Regierung will in Jugendliche investieren

Millionen von schlecht ausgebildeten Jugendlichen könnten in Indien zum Problem der Zukunft werden. Das hat auch die Regierung erkannt. Das indische Finanzministerium richtete deshalb die Nationale Kompetenz Gesellschaft, kurz NSDC, ein. Diese soll bis in zehn Jahren 150 Millionen Jugendliche zu Fachkräften ausbilden. Kostenpunkt: 3,7 Milliarden Franken.

Die Herausforderungen seien enorm, sagt Dilip Chenoy, der CEO von NSDC: «Qualität, Kosten und Quantität, das sind die grossen Probleme in Indien. Unsere Ausbildungsinstitutionen sind nicht gut genug und können nicht genügend Leute ausbilden. Wir müssen einen Weg finden, gute Institutionen zu finanzieren und sie für Millionen von Menschen zugänglich zu machen.»

Schweizer Bildungssystem zu teuer für Indien

Das Schweizer Modell der Berufslehre sei dabei eine grosse Inspiration, auch wenn es nicht eins zu eins übernommen werden könne, sagt Dilip Chenoy: «Das Schweizer Modell setzt auf einen Qualitäts-Standard, den wir hier in Indien nicht haben. Und es verbindet Theorie und Praxis.»

Das Problem sei die Finanzierung, erklärt Chenoy. «In der Schweiz übernimmt der Staat einen grossen Teil der Kosten. In Indien, einem Land mit 1,2 Milliarden Menschen, müssen wir ein möglichst billiges Modell für möglichst viele Leute schaffen.» Deshalb setzt die Nationale Kompetenz Gesellschaft auf Bankkredite und Public-Private-Partnerschaften.

Doch indische Firmen müssten zuerst noch vom langfristigen Nutzen des Schweizer Modells überzeugt werden. Zu hoch sind die Kosten und zu zahlreich die billigen indischen Ausbildungsinstitutionen.

Mit einer guten Ausbildung das Bildungssystem umbauen

So oder so: Das Schweizer System der dualen Berufslehre, mag Indien als Vorbild dienen, doch erreichen wird es nur einen Bruchteil der Jugendlichen. Das Programm ist auf Angestellte von Firmen zugeschnitten. In Indien arbeiten aber 94 Prozent im informellen Sektor: als Teeverkäufer, Müllsammler, Elektroschrott-Verwerter.

Shankar Mote, der Lehrling bei Rieter in Pune, geht in die Mittagspause. Er versteht die Ausbildung bei Rieter als Sprungbrett. Mote hat sich verpflichtet nach der Abschlussprüfung noch zwei Jahre für die Schweizer Firma zu arbeiten. Aber danach will er Ingenieur werden und dann zurück in sein Dorf gehen.

Dort gebe es unzählige Probleme: «Schlechte Strassen, die Schule liegt weit weg, es fehlt an einer guten Wasserversorgung. Weil aber der Bürgermeister nicht gut ausgebildet ist, fehlt ihm das Selbstvertrauen bei der Regierung vorzusprechen. Ich aber werde gut ausgebildet sein und werde von den Politikern das einfordern, was unser Dorf braucht. Und die Politiker werden mir zuhören müssen», ist Shankar Mote überzeugt.

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