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Berufslehre 45+ Wenn Erwachsene nochmals eine Lehre machen

Anpacken für eine bessere Zukunft: Roger Boder hat sich dazu entschieden, im gestandenen Alter nochmals von vorn anzufangen. Der 50-Jährige macht eine Lehre als Fachmann Betriebsunterhalt – im dritten Lehrjahr.

Boder ist ausgebildeter Glaser und arbeitete lange auf dem Bau. Bis ins Pensionsalter diesen körperlich fordernden Job auszuüben, konnte er sich nicht vorstellen. Nun steht er als Lehrling wieder ganz unten auf der Karriereleiter.

Und was sind seine Ziele? «Ich will künftig selbständig Arbeiten können, Verantwortung übernehmen können und ich will Karriere machen», sagt Boder in «10vor10».

Ja, das war schon eine Umstellung, besonders die Hierarchie in einer Restaurant-Küche. Das war für mich Neuland.
Autor: Sabine Jermann Lernende, Köchin

In seinem neuen Beruf selbständig arbeiten, das kann er schon. Er hält die Fachhochschule Nordwestschweiz in Schwung. Seine Aufgaben: Reinigung, technischer Support und kleinere Reparaturen.

Ortswechsel, Restaurant Pintli im solothurnischen Feldbrunnen – St. Niklaus: Auf viel engerem Raum, mit viel mehr Teamarbeit arbeitet Sabine Jermann. Auch die gelernte Physiotherapeutin musste wieder ganz unten anfangen. Jermann ist 45 Jahre alt, Köchin im ersten Lehrjahr. Wie hat sie den Neuanfang erlebt? «Ja, das war schon eine Umstellung, besonders die Hierarchie in einer Restaurant-Küche. Das war für mich Neuland.»

Zu Beginn gibt es nur kalte Küche

Jermann kochte schon immer gerne. Nun will sie das Handwerk von Grund auf lernen und zum Beruf machen. Die Aufgaben sind klar verteilt. Im ersten Lehrjahr darf sich Jermann nur um die kalte Küche kümmern.

Für Sylvia Aebi, Geschäftsführererin des Restaurants Pintli ist die etwas ältere Lehrtochter eine Bereicherung. Erwachsene seien konzentrierter und selbständiger – auch in der Schule: «Bei den jungen Lehrlingen muss man immer nachfragen. Sabine macht gute Noten, da müssen wir nie nachfragen», sagt Aebi.

Ein Exot in der Schule

Mit 45 nochmals zur Schule – und das mit 16-Jährigen. Das hat Sabine Jermann die Entscheidung schwer gemacht. «In der Schule bin ich ein Exot, aber letztlich habe ich ein Ziel vor Augen: Das sind drei Jahre, ein halber Tag pro Woche und mir macht das Spass», sagt Jermann.

Zurück an die Fachhochschule Nordwestschweiz. Dort hat Roger Boder sein Ziel schon direkt vor Augen. Noch dieses Jahr stehen die Abschlussprüfungen an. Seit drei Jahren geht er nun wieder zur Schule.

Auch Boder hatte zuerst ein mulmiges Gefühl. Doch er wurde gut aufgenommen – von Lehrern und Mitschülern – obwohl diese seine Kinder sein könnten. Und was meinen die Mitschüler zum älteren Schulkollegen? Mitschüler Flavian Fankhauser umschreibt es so: «Ja, zu Beginn war das schon ein bisschen komisch. Aber mittlerweile begrüsse ich es, dass auch eine ältere Person eine Zweitausbildung macht.»

Joel Uhlmann meint: «Ich finde, er schlägt sich sehr gut durch. Im ersten Lehrjahr war es ein bisschen schwierig. Jetzt im dritten Lehrjahr macht er sich sehr gut. Ich bin überzeugt, dass er den Abschluss schaffen wird.»

Natürlich gibt es eine finanzielle Einbusse, das ist so. Aber ich habe ein Ziel vor Augen.
Autor: Sabine Jermann Lernende, Köchin

Roger Boder ist nicht nur der Älteste in der Klasse. Auch sein Fach-Lehrer für Berufskunde, Stefan Uhlmann, ist um einiges jünger. Trotz all dem Lob, der Lehrer kennt auch die Schwierigkeiten für ältere Schüler. «Ein älterer Schüler wie beispielsweise Herr Boder, muss wieder lernen richtig zu lernen: Wie bereite ich mich auf Prüfungen vor?»

«Sie hat ein Mittelding»

Anders sieht der Fall bei Kochlehrling Sabine Jermann aus. Ihr fällt die Schule leicht. Doch auch sie muss Opfer bringen für ihren Traum. «Es gibt natürlich eine finanzielle Einbusse, das ist so. Ich betrachte aber die drei Jahre als eine Investition in meine Zukunft», sagt Jermann.

Laut dem Verband Gastrosuisse verdient eine ausgelernte Köchin 4100 Franken im Monat. Eine Auszubildende erhält im ersten Lehrjahr 1000 Franken. Jermann hat Glück, sie verdient mehr. Jermanns Chefin liefert die Begründung: «Wir waren der Ansicht, dass sie mit ihrer grossen Lebenserfahrung unserem Betrieb etwas bringt. Darum hat sie so ein Mittelding. Sie hat keinen Lehrlingslohn, aber es ist auch kein Lohn eines ausgebildeten Mitarbeiters.»

Finanzielle Einbussen, Schule, alles wieder auf Null. Ein Weg, der nochmals viel Fleiss erfordert. Doch Sabine Jermann und Roger Boder sind auf gutem Weg, ihr Berufsleben nochmals ganz frisch zu starten.

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