Schweizer Städte gehören europaweit zu den Spitzenreitern beim Kokainkonsum am Wochenende: Nicht nur in Zürich, auch in St. Gallen wird besonders viel gekokst. Hier verdoppelte sich im Abwasser die Menge der Koks-Rückstände innert Jahresfrist. Das zeigt eine Studie der Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, die in 56 europäischen Städten Abwasser untersuchen liess.
Keine klare Erklärung
Eindeutige Ursachen für diesen massiven Anstieg des Kokainkonsums in St. Gallen kann Jürg Niggli, Leiter der Stiftung Suchthilfe, nicht erkennen. Männer zwischen 25 und 35 Jahren konsumierten die Aufputschdroge wohl am häufigsten, und die seien in St. Gallen sicher gut vertreten: «Wir haben eine HSG, wir haben Clubs und Bars. Da haben wir sicher auch eine Kundschaft, die sich einerseits diese Droge leisten kann und sie auch als Funktion leistungssteigernd einsetzt.»
Die psychologische Beratungsstelle der Hochschule St.Gallen allerdings teilt der Rundschau mit: An der Hochschule sei keine Drogenproblematik bekannt.
«Überall in der Stadt gibt’s Kokain»
Szenenkenner Dani (Name von der Redaktion geändert) , ein langjähriger Kokainkonsument, bestätigen die wachsende Nachfrage nach Kokain in der Stadt: «Es ist wie ein Hype- eine Modedroge. Es wollen einfach alle. Die Menge ist da. Es hat immer und überall Kokain da in St. Gallen.»
Der Kokainkonsum findet auch in den Clubs und Bars von St. Gallen statt. Dionys Meier, Geschäftsführer der Affekt-Bar kämpft mit Türstehern und einer Nulltoleranz-Doktrin gegen den Konsum in seinem Lokal. Doch auch Meier muss eingestehen: «Bei uns wird zu jeder Zeit und in jeder Altersklasse Kokain konsumiert. Am Wochenende mehr, aber auch unter der Woche.» Ganz nach dem Motto: «Not macht erfinderisch» versuchen die Bar-Betreiber mit Antirutschklebeband auf Abdeckungen in den Toiletten den Gästen das Schnupfen zu erschweren.
Zur Volksdroge geworden
Kokain ist nach Cannabis in der Schweiz die meist konsumierte Droge. Der Preis von Kokain ist in den vergangenen Jahren stark gesunken. Heute koste ein Gramm Koks noch rund 100 Franken. Damit sei das weisse Pulver zu einer Art «Volksdroge» geworden, glaubt Niggli. «Es ist nicht mehr so exklusiv, wie vor 10 oder 15 Jahren. Der Kokainkonsum ist auf den ersten Blick nicht sichtbar, wenn sie durch die Stadt laufen oder in die Clubs gehen, sehen sie es nicht sofort. Aber wenn sie bewusst einen Verkäufer suchen, finden sie diesen sehr einfach.»
Mehr Prävention nötig
Gerade aufgrund der steigenden Konsumzahlen muss die Prävention nun forciert werden, ist man sich bei der Suchthilfe einig. Jürg Niggli fordert deshalb, mehr Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen des Kokainkonsums: Nur so könne jemand entscheiden, ob er sich auf die Droge einlassen wolle oder nicht.
Abgabe an Süchtige kaum zielführend
Der Idee einer kontrollierten Kokain-Abgabe an Süchtige, wie sie Bundesrat Ignazio Cassis vor einigen Monaten vorgeschlagen hat, wird bei den Szenekennern in St. Gallen abgelehnt Selbst der Kokainkonsument Dani* findet das keine gute Idee: «Bei Kokain will man immer mehr. Wenn jemand vom Staat eine gewisse Menge kriegt, diese aber nicht genügt, gehe dieser Kokssüchtige irgendwo anders seine Ration holen bis er genügend hat. Die Folge: Eine weitere Steigerung des Konsums.»
(* Name von der Redaktion geändert)