Giulia Romer ist 26 Jahre alt und Social-Media-Managerin in Zürich. Laura Laffranchi – ebenfalls 26 – ist Primarlehrerin in Dietlikon (ZH). Linda Perren ist 28 Jahre alt und Pflegefachfrau am Universitätsspital Zürich. Sie alle sind Tessinerinnen, die ihre Koffer gepackt haben, um ausserhalb des Tessins Arbeit zu finden.
Das tun jedes Jahr fast 800 Personen. Dieses Phänomen betrifft vor allem junge Menschen zwischen 20 und 40 Jahren, die oft sehr gut ausgebildet sind.
Die Gründe für solche Umzüge sind vielfältig und haben oft mit der Suche nach qualifizierten oder dem Berufsprofil besser entsprechenden Arbeitsplätzen und angemessenen Gehältern zu tun, die das Tessin oft nicht bietet.
Tiefere Löhne im Tessin
Der Medianlohn in der Privatwirtschaft liegt im Tessin bei 5163 Franken, gegenüber 6248 Franken in der ganzen Schweiz. Die Abwanderung von Fachkräften aus dem Tessin ist jedoch nicht nur eine Frage des Studiums, der Arbeit und des Gehalts.
«Die Wirtschaft und ein gutes Gehalt sind wichtig, aber sie sind nicht alles», berichtet Linda. Die junge Frau sucht eine Stadt zum Leben, die dynamisch und international ist. Bedingungen, die sie im Tessin nicht findet.
Wir sind in der Situation, dass Zürich den Kanton Tessin ausbluten lässt. Und wir unternehmen fast nichts gegen dieses Problem.
Das Tessin hat in den letzten Jahren aufgehört, demografisch zu wachsen. Verschärft wird die demografische Krise durch die Abwanderung von Fachkräften jenseits des Gotthards. Das beunruhigt die Wirtschaft, die die Tessiner Politiker auffordert, mehr zu tun. «Wir sind in der Situation, dass Zürich den Kanton Tessin ausbluten lässt. Und wir tun fast nichts gegen dieses Problem», kritisiert Ivano Dandrea, Wirtschaftswissenschaftler und Autor eines Buches über die demografische Unsicherheit im Tessin.
Er ist überzeugt, dass die Abwanderung von Fachkräften den Kanton auf sozioökonomischer, kultureller, technologischer und institutioneller Ebene vor eine Vielzahl von Herausforderungen stellen wird.
Durch Innovation wieder attraktiv
Doch wie kann ein peripherer Kanton wie das Tessin mit Zürich und Genf konkurrieren – und wieder attraktiv werden? Der Tessiner Finanz- und Wirtschaftsdirektor Christian Vitta versichert: «Der Kanton Tessin ist ein national und international zunehmend anerkanntes Zentrum für Forschung und Innovation. Um noch attraktiver zu werden, wollen wir unsere Anstrengungen in Zukunft auch auf das Projekt des Tessiner Innovationsparks konzentrieren.»
Es handelt sich um eine Plattform für Forscher, Hightech-Unternehmen und Start-ups, die gemeinsam an erfinderischen Aktivitäten arbeiten und nachhaltige und innovative Ideen entwickeln und testen. «Es gibt drei spezifische Kompetenzzentren: Life Sciences, Lifestyle Tech und Drohnen. Diese Sektoren schaffen attraktive und hochwertige Arbeitsplätze, die junge Menschen dazu bewegen können, im Tessin zu bleiben oder sogar ins Tessin zu kommen», ist Vitta überzeugt.
Zurück zu den drei Auswanderinnen: Auch wenn die Tessiner Behörden vieles versuchen, um gut Ausgebildete wie sie zurückzulocken – eine Heimkehr kommt für sie noch lange nicht infrage. Linda: «Ich habe sicher vor, hier länger zu bleiben und dann für die Rente an die Sonne und die Wärme zurückzukehren.»