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Bundesrat für AKW-Option «Das Schlimmste, was passieren kann, ist eine Strommangellage»

Es sind neue Töne, die der Bundesrat von sich gibt. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 war die damalige Energieministerin Doris Leuthard vom Atomausstieg überzeugt. 13 Jahre später möchte sich der Bundesrat nun alle Energieoptionen offenhalten. SRF hat bei Albert Rösti nachgefragt.

Albert Rösti

Bundesrat

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Albert Rösti ist seit 2023 Bundesrat und Vorsteher des Eidgenössischen Departments für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek). Er wurde 1967 geboren, studierte Agronomie an der ETH Zürich, erlangte 1997 den Doktortitel und machte 2001 und 2002 einen Master of Business Administration (MBA) an der Universität Rochester in den USA. Rösti war seit 2011 Nationalrat für den Kanton Bern und von 2016 bis 2020 Parteipräsident der SVP Schweiz.

SRF: Wer soll in der Schweiz überhaupt neue AKW bauen?

Albert Rösti: Die Aufgabenteilung ist klar zwischen Bund und Kantonen. Der Bund setzt die Rahmenbedingungen und würde sicher nicht selber in Energieanlagen investieren oder bauen. Es sind die Kantone oder die Eigner der Elektrizitätswerke, die Wasserkraftwerke bauen. Der Bundesrat eröffnet jetzt die Option, für die längerfristige Versorgungssicherheit auch andere Technologien in Betracht zu ziehen – wie Kernkraftwerke.

Die Chefs von Axpo bis Alpiq sagen aber: «Das ist viel zu teuer, ohne staatliche Unterstützung geht es nicht.» Kommen als nächstes Subventionen für neue AKW?

Heute ist die staatliche Unterstützung nicht möglich, es fehlen die entsprechenden Gesetzesgrundlagen. Es geht dem Bundesrat auch nicht um ein konkretes Projekt, es liegt keines auf dem Tisch. Das muss zuerst erarbeitet werden, falls wir mit den neuen erneuerbaren Energien nicht weiterkommen sollten.

Die Option, das Neubauverbot aufzuheben, ist für eine langfristige Strategie.

Bürgerliche Politiker fordern bereits Geld dafür aus dem Topf für erneuerbare Energien. Eine gute Idee?

Wir haben im Moment einen klaren Beschluss der Bevölkerung vom Juni. Sie will bei der mittelfristigen Versorgungssicherheit in Wasserkraft, Wind und alpine Solaranlagen investieren. Das ist ganz wichtig, denn dazu gibt es in den nächsten Jahren keine Alternative, dazu braucht es die bereitgestellten Fördermittel. Die Option, das Neubauverbot aufzuheben, ist für eine langfristige Strategie. So können wir die mindestens prüfen, weil wir langfristig noch viel mehr Strom brauchen als heute.

Was nützt denn die Aufhebung eines Neubauverbotes, wenn die Unternehmen, die ein AKW bauen könnten, sagen, dass sie es ohne Hilfe nicht machen werden, weil es sich nicht lohnt?

Mit der Aufhebung eines Technologieverbotes sind die Unternehmen auch einverstanden, weil wir die bestehenden Kernkraftwerke die nächsten 20 Jahre noch brauchen. Jetzt zu sagen, es sei zu teuer, wenn man gar nicht weiss, wie ein konkretes Projekt aussieht, ist ein bisschen einfach.

Der Bundesrat will rechtzeitig handeln, damit man nichts ausser Acht lässt.

Die Technologie, die Kosten und die Strompreise entwickeln sich. Der Bundesrat will rechtzeitig handeln, damit man nichts ausser Acht lässt, in Anbetracht dessen, dass man nicht einfach jederzeit Strom importieren kann. Das Schlimmste, was der Schweiz langfristig passieren kann, ist eine Strommangellage.

Genau darauf könnte es hinauslaufen, sagen Ihre Kritiker: Ein neues AKW braucht viel Geld, das dann für erneuerbare Energien fehlt – so könnten wir mittelfristig zu wenig Strom haben.

Der Bundesrat spricht auch deshalb über ein Technologieverbot, weil die erneuerbaren Energien mit Einsprachen stark gebremst werden. Darum können wir heute nicht sagen, ob wir in zehn oder 20 Jahren genug Strom haben.

Wenn man in zehn Jahren zeigen kann, wir haben genug Strom (mit Erneuerbaren), dann wird ein neues Kernkraftwerk gar nicht mehrheitsfähig sein.

Die nötigen Mittel sind über das angenommene Energiegesetz vorhanden. Sie werden durch die Aufhebung des Neubauverbotes in keiner Weise infrage gestellt. Ich hoffe gar auf eine Beschleunigung. Wenn man in zehn Jahren zeigen kann, dass wir mit den gegebenen Instrumenten genug Strom haben, dann wird ein neues Kernkraftwerk gar nicht mehrheitsfähig sein. Aber wenn man dann merkt, dass es nicht reicht für die Dekarbonisierung, dann sind wir froh über die Option.

2017 hat das Volk Ja zum schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie gesagt. Jetzt möchten Sie das aushebeln ohne eine zwingende Volksabstimmung, nur wenn jemand das Referendum ergreift. Wie demokratisch ist das?

So demokratisch wie es 2017 war, das war ein Referendum. Gleiches wird auch jetzt erwartet. Ich finde die Diskussion in der Bevölkerung in Anbetracht der neuen Ausgangslage, in der man nicht davon ausgehen kann, dass man immer genug Strom importieren kann, richtig und wichtig. Das Volk ist der Souverän und soll entscheiden. Es kann auch am Entscheid festhalten. Aber der Bundesrat hätte seine Verantwortung nicht wahrgenommen, wenn wir in Anbetracht des Paradigmenwechsels die Diskussion nicht öffnen würden.

Der Bundesrat und später das Volk haben den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima beschlossen. Sind Ihnen die Risiken heute egal?

Absolut nicht. Das Risiko darf nie unterschätzt werden. Es ist immer an erster Stelle. Wir haben eine der besten Kontrollen, das muss auch in Zukunft so sein. Ich gehe davon aus, dass sich die Technologie jedes Jahr noch ein bisschen mehr hin zu besseren, sichereren Werken entwickelt. 

Das Gespräch führte Nathalie Christen.

Tagesschau, 28.08.2024, 19:30 Uhr ; 

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