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Bundesrat vom Himmel geholt Bersets Privatflug-Panne: Schuld war fehlender Funkkontakt

Privatpilot Alain Berset wurde letzte Woche zum Landen gezwungen. Nun ist klar: Der Bundesrat flog ohne Funkkontakt über einer Militärzone.

Die hiesige Flugwelt staunt: Alain Berset besitzt seit 2009 eine Pilotenlizenz – und kaum einer weiss davon. Und dann schafft es dieser Bundesrat offenbar auch noch, von einem französischen Kampfjet vom Himmel geholt zu werden. Branchenkenner sind verblüfft.

Abgefangen zu werden, ist für jeden Piloten ein Erlebnis, das er kein zweites Mal haben möchte.
Autor: Philippe Hauser Geschäftsführer des Verbands der Flugzeugeigentümer und Piloten

Damit die Luftwaffe zu diesem Mittel greife, brauche es «eine wirklich ernsthafte Verletzung eines Luftraumes», sagt Hansjörg Bürgi, Chefredaktor des Schweizer Luftfahrt-Magazins «Skynews».

Philippe Hauser, Geschäftsführer des Verbands der Flugzeugeigentümer und Piloten (AOPA), pflichtet bei. Es sei «sehr, sehr, sehr» selten, dass jemand abgefangen werde. Und: «Das ist für jeden Piloten ein Erlebnis, das er kein zweites Mal haben möchte.»

Berset geriet mit Miet-Cessna ins Sperrgebiet

Zur Erinnerung: Bundesrat Alain Berset unternahm am 5. Juli einen privaten Flug zwischen zwei französischen Sportflugplätzen, wie das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) am Dienstag bekannt gegeben hatte. Eine «Fehlinterpretation der Angaben der Luftverkehrskontrolle zu Beginn des Flugs» habe dabei zu einer Intervention der französischen Luftpolizei geführt. Nach einer Identitätskontrolle am Boden sowie einem Austausch über den Sachverhalt habe der Bundesrat weiterfliegen können.

Laut Recherchen der «NZZ» soll Berset mit einer gemieteten Cessna in eine Sperrzone beim französischen Militärflughafen Avord geraten sein. Das EDI hat sich nicht dazu geäussert.

Die französische Luftwaffe hingegen bestätigt nun diesen Sachverhalt auf Anfrage von RSI: Ein Rafale-Kampfjet habe am besagten Tag bei einem Schweizer Sportflugzeug interveniert, nachdem dieses auf einem Flug zwischen Dôle und Thouars ohne Funkkontakt in den Luftraum eines Militärgebiets eingedrungen sei. Weil man die Absichten des Piloten nicht gekannt habe, habe der Kampfjet die Cessna bis zur Landung auf dem Flugplatz Thouars begleitet. Dort sei es zu einer polizeilichen Befragung gekommen.

Sind bei Flugvorbereitung Fehler passiert?

Fehlender Funkkontakt? Missachtung eines Sperrgebiets? Wie es so weit kommen konnte, ist für die beiden Flugexperten Bürgi und Hauser ein Rätsel. Möglicherweise sei die Flugvorbereitung nicht sauber durchgeführt worden, sagt Bürgi. «Wenn die französische Luftwaffe aufsteigt, muss man davon ausgehen, dass der Fehler gravierend war.»

Dass Bundesrat Berset unwissentlich in die Sperrzone geflogen ist, glaubt Bürgi indes nicht. Entsprechende technische Mittel im Flugzeug würden den Piloten darauf hinweisen. Allenfalls habe es mit dem Einholen einer Bewilligung nicht geklappt – denn mit einer speziellen Autorisation sei das Überfliegen von Avord auf zwei Korridoren möglich.

Auch Philippe Hauser würde gerne wissen, was genau mit der vom EDI erwähnten «Fehlinterpretation» gemeint ist. «Ich kann mir vorstellen, dass das Vergehen nicht dermassen schlimm ist. Sonst wäre er wahrscheinlich nicht noch gleichentags wieder weitergeflogen.» Gleichwohl werde ein fehlbarer Pilot zunächst per Funk aufgefordert, die Flugroute oder Flughöhe zu ändern. Nur wenn der Pilot nicht reagiere, käme die Luftpolizei zum Einsatz, und zwinge die fehlbare Maschine zum Landen.

Sprachliches Missverständnis wenig plausibel

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Ein sprachliches Missverständnis halten der Geschäftsführer des Pilotenverbandes und der Chefredaktor von «Skynews» für wenig plausibel. In Frankreich würden Funksprüche in der Regel auf Französisch erfolgen, so Philippe Hauser – also in Alain Bersets Muttersprache. Und Bürgi meint: «Hätte er Englisch gesprochen, dann wäre die Wahrscheinlichkeit eines Missverständnisses vielleicht etwas grösser.»

Ob Berset nun mit einer Busse rechnen muss, ist offen. Das EDI hielt am Dienstag fest, «dass nach unserer Kenntnis keinerlei Rechtsverfahren eröffnet wurde». Die französische Luftwaffe nahm zur Frage nach möglichen Sanktionen keine Stellung.

Fall Berset ist eine sogenannte «Hot Mission»

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Wenn ein Kampfjet ein anderes Flugzeug wie im Fall von Alain Berset zum Landen zwingen muss, handelt es sich um eine sogenannte «Hot Mission». Die französische Luftwaffe zählte im letzten Jahr 170 solche Vorfälle.

Auch die Schweizer Luftwaffe, die hierzulande die Lufthoheit wahrt, nimmt «Hot Missions» vor. Im letzten Jahr kam es zu 3 «Hot Missions», 2020 waren es 15 und 2019 deren 18. Als «Hot Mission» gelten Luftpolizeieinsätze für Hilfeleistungen an zivilen Flugzeugen, bei schwerwiegenden Verletzungen der Lufthoheit oder bei Missachtung von Luftverkehrsregeln.

«Hot Missions» können diverse Auslöser haben

Unter anderem löst die Schweizer Luftwaffe «Hot Missions» aus, um Flugzeuge in einer Notlage zu unterstützen. Also beispielsweise bei einem Funkausfall oder bei technischen Defekten, bei denen man von aussen visuell unterstützen könne, sagt Armeesprecher Stefan Hofer auf Anfrage. Auch bei Flugzeugentführungen, Bombendrohungen oder bei schwerwiegender Missachtung von Luftverkehrsregeln und der Lufthoheit kämen Kampfjets zum Einsatz.

«Über die Auslösung einer ‹Hot Mission› wird situativ entschieden. Faktoren wie beispielsweise zeitliche Verhältnisse, Schwere der Luftraumverletzung, Identifikation und geplanter Landeort des Flugzeuges werden berücksichtigt.» In erster Linie werde die Kontaktaufnahme über Funk angestrebt. Klappe dies nicht, erfolge die Kontaktaufnahme über international standardisierte visuelle Signale und Verfahren.

Luftpolizeieinsätze erfolgen in der Regel ab dem Militärflugplatz Payerne, aber auch Einsätze ab Meiringen oder Emmen sind möglich. Auf die Frage nach den Kosten einer solchen «Hot Mission» heisst es vonseiten Armee: Die Luftwaffe verfüge jährlich über eine Anzahl Flugstunden. «Diese dienen der Ausbildung, dem Training und den Einsätzen der Luftwaffe», so Stefan Hofer. Ein Luftpolizeieinsatz wirke nicht Budget-erhöhend. «Entsprechend entstehen keine zusätzlichen, nicht budgetierten Kosten.»

«Live Missions» kommen wesentlich häufiger vor

Weit häufiger als «Hot Missions» sind in der Schweiz sogenannte «Live Missions». Bei diesen kontrolliert die Luftpolizei stichprobenartig Überflüge von ausländischen Staatsluftfahrzeugen. «Es wird überprüft, ob die Flüge gemäss der Bewilligungen – der sogenannten Diplomatic Clearances – erfolgen», schreibt das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) auf seiner Webseite. In den letzten drei Jahren führte die Luftpolizei jeweils zwischen 200 und 300 «Live Missions» durch.

SRF 4 News, 12.07.2022, 18:00 Uhr ; 

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