Zum Inhalt springen

Container-Lösung versenkt Steigende Asylzahlen – und keine Lösung in Sicht?

Die Bundesasylzentren sind immer mehr unter Druck, die Containerdörfer vom Tisch. Riskiert die Schweiz ein Asylchaos?

Konflikte, Krieg, Klima: Die angespannte Weltlage zwingt immer mehr Menschen zur Flucht. Das spürt auch die Schweiz: Immer mehr Menschen suchen hier nach Schutz, die Bundesasylzentren sehen sich mit einer Belastungsprobe konfrontiert.

Gleichzeitig scheint eine Entlastung nicht in Sicht: Das Staatssekretariat für Migration (SEM) geht davon aus, dass in den kommenden Monaten die Zahl der Asylgesuche hoch bleiben dürfte. Die wahrscheinlichste Prognose: 27'000 Personen werden es wohl bis Ende Jahr sein.

«Derzeit sehe ich keine Lösung»

Dies setzt die Politik unter Zugzwang. Doch einen Notfallplan hat der Ständerat verworfen: Zur Debatte stand ein Kredit von 66.45 Millionen Franken – anfänglich waren es einmal 132.9 Millionen – für 3000 zusätzliche Unterbringungsplätze in temporär stationierten Wohncontainern. Diese sollten die Bundesasylzentren entlasten. Im Schweizer Asylsystem haben sie die Funktion eines Scharniers: Möglichst effizient sollen dort Fachpersonen entscheiden, wer in der Schweiz bleiben darf – und wer nicht.

Bundesasylzentren: erste Station im Schweizer Asylverfahren

Box aufklappen Box zuklappen

Das Asylwesen in der Schweiz ist alles andere als trivial. Das zeigt sich bereits in den ersten Wochen des Asylverfahrens. Kurz erklärt: Seit dem 1. März 2019 ist das revidierte Asylgesetz in Kraft. Das Ziel war, die Verfahren effizienter zu gestalten. Die Idee: In Bundesasylzentren mit Verfahrensfunktion soll rasch über ein Asylgesuch entschieden werden. Grundsätzlich darf sich eine asylsuchende Person dort maximal 140 Tage aufhalten.

Wird das beschleunigte Verfahren erfolgreich abgeschlossen – das bedeutet, die Gesuchstellerin wird entweder abgewiesen oder erhält einen bestimmten Aufenthaltsstatus – verlassen die Betroffenen das Bundesasylzentrum. Die Behörden verweisen sie dann, beispielsweise als Flüchtling, an einen Kanton. Oder die Person wird aus dem Land verwiesen, weil das Asylgesuch abgelehnt wird. Möglich ist auch, dass bei einem Fall weitere Abklärungen nötig sind. Dann kommt das erweiterte Verfahren zum Zug.

Weil die Zahl der Asylgesuche konstant auf einem hohen Niveau ist, stehen die Bundesasylzentren unter zunehmenden Druck. Die temporären Wohncontainer hätten hier Abhilfe schaffen sollen. Diesen Lösungsansatz hat der Ständerat jedoch verworfen. Wichtig: Sich zu weigern, ein Asylgesuch zu prüfen, ist widerrechtlich.

Ständerätin Eva Herzog (SP/BS) ist mit dem Ratsentscheid unzufrieden. Klar wisse man nicht mit Gewissheit, ob die Prognose des SEM eintrete. Und doch: «Diejenigen, die gegen die Container gestimmt haben, nehmen ein Chaos in Kauf. Das finde ich verantwortungslos.» Sie sagt aber auch: «Derzeit sehe ich keine Lösung.»

Ein Asylcontainer in Basel.
Legende: In Basel existieren bereits temporäre Asylunterkünfte. Der Ständerat sieht diese Form der Unterbringung allerdings als zu teuer an. KEYSTONE / Georgios Kefalas

Ähnlich argumentiert auch SEM-Staatssekretärin Christine Schraner Burgener und sagt zum Entscheid des Ständerats: «Wir haben bereits alle Optionen geprüft, sonst wären wir nicht auf diese Idee gekommen.» Nun müsse man wieder mit den Kantonen und der Armee diskutieren und nach Alternativen suchen. «Doch es wird schwierig», betont sie.

Mit Steuergeldern «verantwortungsvoll» umgehen

Der Entscheid des Ständerats war knapp. 23 Ratsmitglieder sagten Nein zum Kredit, 19 stimmten zu bei einer Enthaltung. Einer, der gegen die Containerlösung gekämpft hat, ist der St. Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth. Er sagt: «Unsere Aufgabe ist es, mit Steuergeldern verantwortungsvoll umzugehen.» Und solange man andere Optionen habe, solle man diese nutzen.

Ein junger Mann sitzt im Bundesasylzentrum in Zürich.
Legende: Ein junger Mann sitzt im Bundesasylzentrum in Zürich. KEYSTONE / Michael Buholzer

Würth sieht die Lösung des Problems darin, im Falle einer Überlastung der Bundesasylzentren die Zivilschutzanlagen der Kantone zu nutzen. Man habe «während Jahren» Milliarden in diese Zivilschutzanlagen investiert. Sie stünden der Bevölkerung für Notfälle zur Verfügung. «Es ist zumutbar, für eine Erstunterbringung diese Anlagen zu nutzen, wenn wir einen Notfall haben.»

Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsschutz

Box aufklappen Box zuklappen

Wer in der Schweiz ein Asylgesuch stellt, hat während des Verfahrens Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsschutz. Sowohl in den Bundesasylzentren als auch in den Kantonen können sich Asylsuchende deshalb von einer vordefinierten, behördenunabhängigen Stelle gratis rechtlich beraten und vertreten lassen.

Diesen Rechtsschutz gewährleisten in der Schweiz die Berner Rechtsberatung, Caritas und das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks). Heks-Sprecher Lorenz Kummer sagt: «Wir haben ein Mandat des Staatssekretariats für Migration für die Gebiete Ostschweiz und Nordwestschweiz.» Im letztgenannten Zuständigkeitsgebiet konnten im Rahmen dieses Mandates Hunderte Asylsuchende nicht an die Dublin-Gespräche begleitet werden.

Dies treibt um beim Heks. Gemäss Kummer sollen noch diesen Monat die Ergebnisse eines internen Untersuchungsberichts vorliegen. Bereits jetzt sagt er: «Die Kombination aus einer erhöhten Fluktuation und grosser Falllast hat zu diesem Ausgang geführt.» Die vielen Asylgesuche haben also auch das Heks gespürt.

So mache man es sich allerdings zu einfach, sagt SP-Ständerätin Herzog: «Die Zivilschutzanlagen sind die Reserven der Kantone.» Diese Anlagen seien dafür vorgesehen, Schutzbedürftige, welche von den Bundesasylzentren an die Kantone verwiesen werden, zu beherbergen – und nicht als Warteraum gedacht, um einen Asylentscheid abzuwarten. Dies geschieht in den Bundesasylzentren. Herzog spricht entsprechend von einer «Doppelbelegung».

Sehr wahrscheinlich ist derweil, dass der Politik der Entscheid nicht abgenommen wird. Gemäss Schraner Burgener könnten in diesem Jahr sogar 30'000 Asylgesuche gestellt werden. Klar ist vor allem auch, dass es sich bei den Gesuchstellerinnen und Gesuchstellern häufig um Menschen handelt, die eine teils traumatische Flucht hinter sich und einen gesetzlichen Anspruch auf eine adäquate Unterbringung und Rechtsberatung haben.

10 vor 10, 15.06.2023, 21:50 Uhr

Meistgelesene Artikel