Epidemiologie-Professor Marcel Salathé von der ETH Lausanne ist Mitglied der neu eingesetzten «Swiss National COVID-19 Task Force». Sie soll den Gesamtbundesrat, das Eidgenössische Departement des Innern sowie die zuständigen Stellen des Bundes und der Kantone beratend unterstützen. Am Donnerstag hat die Task Force erstmals getagt. Zuoberst auf der Traktandenliste: die Frage nach der Aufhebung der Ausgeh-Restriktionen.
SRF: Herr Salathé, wann kann aus Ihrer Sicht der Lockdown gelockert werden?
Marcel Salathé: Die grosse Frage lautet: Wann gehen die Fallzahlen der täglich Neuinfizierten zurück? Mit mehr als tausend Fällen pro Tag ist das Risiko noch zu hoch. Denn die Gefahr besteht, dass die Zahlen gleich wieder hochschnellen, wenn wir die Restriktionen lockern. Erst wenn die Fallzahlen auf eine tiefe dreistellige – oder noch besser auf eine zweistellige – Zahl gesunken sind, ist eine Lockerung des Lockdowns aus epidemiologischer Sicht zu verantworten.
Wie kann eine erneute Ansteckungswelle verhindert werden?
Die Restriktionen müssen schrittweise gelockert werden. Gleichzeitig müssen möglichst viele Menschen auf Antikörper getestet werden. So können wir hochrechnen, wie viele Menschen bereits infiziert wurden und nun gegen das Virus immun sind. Das wiederum hilft uns zu verstehen, wo wir zurzeit in der aktuellen Ansteckungswelle stehen.
Antikörper-Tests zeigen keine Neuinfektionen an. Es braucht also weiterhin Covid-19-Tests?
Ja, die brauchen wir zusätzlich. Nur so können wir hochansteckende Personen sofort isolieren und anschliessend mit dem sogenanntem Contact Tracing nachverfolgen, wo und mit wem die infizierte Person Kontakt hatte. Diesen Kontakten muss dann die Möglichkeit gegeben werden, sich in Quarantäne zu begeben. Deshalb muss die Zahl der täglich Neuinfizierten so tief sein wie nur möglich, denn sonst lässt sich das kaum bewerkstelligen.
In dem Moment, wo wir einen Impfstoff haben, ist der ganze Spuk vorbei.
Was geschieht bei einer Lockerung der Restriktionen mit Risikogruppen wie den über 65-Jährigen?
Das hängt von zwei wichtigen Faktoren ab. Erstens: Wann steht uns ein zuverlässiges Covid-19-Medikament zur Verfügung, dass die schlimmsten klinischen Konsequenzen verhindert? Zweitens: Wann ist ein Covid-19-Impfstoff verfügbar? Beides haben wir noch nicht.
Das heisst: Solange müssen sich diese Risikogruppen durch Isolation schützen?
Ja, so ist es.
Das kann aber noch Monate dauern?
Zurzeit kann niemand abschätzen, wie lange es dauern wird, bis ein Medikament oder ein Impfstoff auf den Markt kommt. Was aber allen Fachleuten klar ist: In dem Moment, wo wir einen Impfstoff haben, ist der ganze Spuk vorbei.
Der Impfstoff ist also der sicherste Weg aus der Krise?
Ja. Ein effizienter und sicherer Impfstoff schiebt der Corona-Krise endgültig den Riegel.
Das Interview führte Mario Nottaris.