Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) streicht an seinem Hauptsitz in Genf offenbar Dutzende Stellen. Das meldet das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS . Grund: die Pandemie. Denn wegen der Coronakrise erhalten viele internationale Organisationen dieses Jahr weniger Geld.
Es sei unbestreitbar, dass der Corona-Ausbruch eine zentrale Rolle für den Stellenabbau spiele, sagt Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von SRF. «Seit der Krise pumpen die Staaten riesige Summen in ihr Gesundheitswesen und vor allem in die Stabilisierung ihrer Wirtschaft. Das heisst, sie müssen andernorts sparen.»
Relativ kleiner Kreis von Spendern
Das IKRK finanziert sich durch freiwillige Beiträge, die es jährlich neu hereinholen muss. Hauptzahler sind wohlhabende westliche Staaten – die USA, Grossbritannien, die EU. Auch die Schweiz leistet als Sitzstaat des IKRK einen beträchtlichen Beitrag.
IKRK-Präsident Peter Maurer versuche seit Jahren, die Finanzierung zu verbreitern, weiss Gsteiger. «Er versucht auch Stiftungen, Unternehmen und andere wohlhabende Staaten, die bisher wenig zahlten – etwa China, südostasiatische Staaten oder die arabischen Golfstaaten –, zu Spendern für das IKRK zu machen. Allerdings hat er damit bisher einen relativ begrenzten Erfolg.»
Weil auch die humanitären Bedürfnisse grösser geworden sind, ist das IKRK bisher ständig gewachsen. Es gibt weltweit viele Konflikte, vor allem auch mehr und mehr langanhaltende wie in Syrien oder Afghanistan. Allein in Genf zählt das IKRK 1000 Mitarbeitende, weltweit sind es 18'000. Das Budget hat 2.2 Milliarden Franken erreicht. «Das IKRK ist inzwischen sozusagen ein humanitärer Gigant», so Gsteiger.
Moralisches Dilemma des Sparens
Der Stellenabbau findet vor allem in Genf und bei den Expats in der Schweiz statt. «Das heisst, das Sparprogramm trifft relativ teure Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nach Schweizer Verträgen angestellt sind. Offenbar soll es weniger die günstigen lokalen Angestellten treffen», weiss Gsteiger.
Allerdings sei das Sparprogramm nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein moralisches Problem: «Eine Firma kann sich aus einem Absatzmarkt zurückziehen oder eine Produktlancierung vertagen.» Beim IKRK gehe es aber um humanitäre Hilfe. «Und diese ist wegen der Coronakrise noch nötiger geworden. Wenn man nun beim Hilfeleisten sparen muss, steckt man in einem moralischen Dilemma.»
Die Coronakrise trifft private Organisationen und NGOs, aber auch grosse Organisationen wie die UNO. Dort entstehe gerade eine gewaltige Lücke gegenüber dem Budget, so Gsteiger, «weil gewisse Staaten – nicht zuletzt die USA – nicht einmal ihre obligatorischen Beiträge ans UNO-Budget überwiesen haben.»
Die Finanzkrise durch die Pandemie sei ein Stück weit erwartbar gewesen, sagt Gsteiger. «Aber klar ist: Es trifft hauptsächlich die armen Länder und die ärmsten Menschen in diesen Ländern und Konfliktgebieten.» Diese Menschen seien am meisten auf internationale Organisationen wie das IKRK oder die WHO angewiesen.
Wenn in einer offensichtlichen finanziellen Krise viele Länder gerade beim internationalen Engagement sparen, sei das auch ein Zeichen, sagt der Diplomatie-Experte. «Damit signalisieren sie, dass die multilaterale Zusammenarbeit und die internationale Solidarität bei ihnen womöglich nicht zuoberst auf der Prioritätenliste steht.»