Von einem Putsch ist in der direkten Demokratie der Schweiz nicht oft die Rede – genau davon hat aber SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (AG) heute am Rednerpult gesprochen. Es sei «ein parlamentarischer Putsch der Chefs und der Bosse gegen die Lohnabhängigen in diesem Land, die die Frechheit hatten, sich ein Stück des Kuchens und etwas mehr soziale Gerechtigkeit und finanzielle Stabilität an der Urne zurückzuholen. Es ist ein Putsch gegen die Souveränität der Kantone.»
Kurz nach Wermuth trat Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (VS) ans Rednerpult und entgegnete: «Ich kann sie beruhigen. Heute und hier wird nicht geputscht.»
Und dennoch stellt das Parlament zwei Volksabstimmungen in Genf und Neuenburg infrage. In beiden Kantonen sind Mindestlöhne von der Stimmbevölkerung angenommen worden, die keine Ausnahmen vorsehen.
«Rechtsstaatlich bedenklich»?
Anders in den Kantonen Basel-Stadt, Tessin und Jura. Die dort geltenden Mindestlöhne betreffen nur Branchen, in denen kein allgemein verbindlicher Gesamtarbeitsvertrag (GAV) vorliegt. Dieses Prinzip: Gesamtarbeitsvertrag vor Mindestlohn – wollen die bürgerlichen Parteien nun auf Bundesebene verankern und greifen so die Mindestlöhne in Genf und Neuenburg direkt an.
Für die Grünen-Nationalrätin Franziska Ryser ist dieses Vorgehen rechtsstaatlich bedenklich. Sie warnt vor Lohnsenkungen: «Coiffeusen und Coiffeure in Genf etwa würden 250 Franken weniger Lohn erhalten, Gastronomieangestellte mit Progresso-Ausbildung 300 Franken weniger, angelernte Wäschereiangestellte 350 Franken weniger.»
Ganz anders sah es Mitte-Fraktionschef Bregy. Wenn Gesamtarbeitsverträge Vorrang von Mindestlöhnen hätten, dann stärke dies die Sozialpartnerschaft. Denn diese Verträge seien ja auch zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelt worden: «Es ist also nicht ein Lohnsenkungsprogramm, das wir hier machen, sondern eine klare Regelung und Priorisierung der Rechtsnormen.»
Unterstützt wurde die Mitte von der SVP und der FDP. FDP-Nationalrat Marcel Dobler warnte: «Zu hohe Mindestlöhne vernichten Einstiegsjobs und verhindern die Chance, die betroffene Menschen brauchen. Es ist nicht angezeigt, die erfolgreiche Sozialpartnerschaft zu schwächen.»
Der Bundesrat unterstützte die bürgerliche Vorlage nicht. Und das, obwohl Mitte, FDP und SVP zusammen eine Mehrheit von fünf Sitzen in der Landesregierung haben. Für Wirtschaftsminister Guy Parmelin ist die Sachlage klar: «Der Inhalt eines GAV wird von den Sozialpartnern bestimmt und unterliegt keinem legislativen Prozess. Es ist nicht vorstellbar, dass er Vorrang vor einem demokratisch legitimierten kantonalen Gesetz haben kann.»
Trotzdem setzten sich die bürgerlichen Parteien am Schluss klar gegen die SP, die Grünen und die Grünliberalen durch. Mit 109 zu 76 Stimmen fiel der Entscheid deutlich aus. Und auch der Bundesrat unterlag – er unterstützte die bürgerliche Vorlage nicht. Jetzt ist der Ständerat am Zug. Schon jetzt gilt ein Referendum als sicher – die Mindestlohn-Frage wird wohl an der Abstimmungsurne entschieden.