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Debatte um Dienstpflicht Dem Zivilschutz fehlen die Leute – das sind die Lösungsansätze

In der Pandemie mussten sie in Spitälern aushelfen, jetzt richten sie Unterkünfte für Geflüchtete ein: die Zivilschützer. Vielerorts fehlt es aber an Personal. Abhilfe schaffen könnte eine Initiative, die am Dienstag lanciert wird.

Wo früher alte Menschen lebten, sollen bald Geflüchtete unterkommen. Dafür schrauben ein Zivilschützer und ein Zivildienstleistender in einem leerstehenden Altersheim in St. Gallen gemeinsam ein Ikea-Bett zusammen. Eigentlich haben die beiden Dienste streng getrennte Aufgaben. Doch im Kanton St. Gallen kooperieren sie seit mehreren Jahren. Jörg Köhler, der Leiter des kantonalen Amts für Militär und Zivilschutz, erklärt: «Zivilschützer können wir schnell aufbieten und die Zivildienstleistenden können helfen, die hohe Arbeitsbelastung längerfristig zu bewältigen.» Dadurch habe man stets genügend Leute.

In vielen anderen Kantonen kämpft der Zivilschutz mit Personalmangel. 72'000 Zivilschützer bräuchte es laut dem Bund schweizweit. 3000 fehlen heute schon, bis 2030 könnten es 20'000 sein.

Lösen liesse sich das Problem mit einer Änderung des Dienstpflichtsystems – die das Verteidigungsdepartement derzeit prüft. Die erste Option ist eine Zusammenlegung von Zivildienst und Zivilschutz. Damit würde aber – anders als bei der reinen Zusammenarbeit der beiden Dienste – der organisatorische Aufwand für die Kantone steigen.

Bundesrat hat Bürgerdienst verworfen – nun kommt Initiative

Die zweite Reformvariante sieht vor, dass auch Frauen stellungspflichtig werden. Dabei müssten nicht alle Frauen und Männer Dienst leisten, sondern nur diejenigen, die am besten geeignet sind. Die Option eines Bürgerdienstes, bei dem jeder und jede einzelne mit anpacken muss, hat der Bundesrat kürzlich verworfen.

Nun will ein überparteiliches Bündnis einen solchen «Service Citoyen» auf anderem Weg einführen. Es lanciert am Dienstag eine Initiative. Sarah Bünter, die im Parteipräsidium der Mitte sitzt, erklärt: «Alle sollten einen Dienst für die Allgemeinheit oder die Umwelt leisten. Ziel ist es, dass wir für sämtliche künftigen Krisen Antworten parat haben.»

Die Zahl der Dienstleistenden würde dadurch stark ansteigen. Bundesrätin Viola Amherd kritisiert, dass die Konkurrenz zur Privatwirtschaft grösser würde. Auch Boas Lieberherr, Forscher am Center for Security Studies der ETH Zürich, sieht dies als mögliches Problem: «Die meisten neuen Einsätze gäbe es wohl im Zivildienst, wodurch die Konkurrenz für geringqualifiziertes Personal grösser werden könnte – etwa im Gesundheits- und Sozialbereich.»

Bünter kontert: «In der Pflege und in vielen anderen Bereichen laufen wir in einen Fachkräftemangel hinein.» Der Service Citoyen würde neue Arbeitskräfte bringen, die bei Engpässen aushelfen könnten.

Mehr Frauen – nicht nur wegen Personalmangel

Die Personalprobleme des Zivilschutzes wären mit einem Service Citoyen innert Kürze gelöst. Und gleichzeitig würde das Personal diverser.

Aktuell fällt der Mangel von Frauen besonders ins Gewicht, wie der St. Galler Amtsleiter Köhler erklärt: «Die meisten Flüchtlinge aus der Ukraine sind Frauen mit Kindern, die teilweise lieber von anderen Frauen unterstützt werden. Hätten wir mehr Frauen, könnten wir deshalb noch zusätzliche Aufgaben übernehmen.»

10vor10, 25.04.2022, 21:50 Uhr

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