Es war das Tuschelthema an einem grossen Tag für die Schweiz: Zur Eröffnung des Gotthard-Basistunnels im Jahr 2016 erschien die damalige Verkehrsministerin Doris Leuthard in weissem Kleid und weisser Jacke, die Kleidung durchbohrt von zahlreichen Löchern. Das Outfit sollte optisch den Gotthardtunnel untermalen, der Nachwelt aber als «Käsekleid» in Erinnerung bleiben.
Leuthards Tenue ist heute eines von rund 870'000 Kunst- und Alltagsobjekten, die im Sammelzentrum des Schweizerischen Nationalmuseums in Affoltern am Albis lagern. Dort sind Kulturgüter aus allen Epochen, Lebenswelten und Regionen der Schweiz vereint – vom ersten Sackmesser bis zu Klappstühlen vom ersten Konzert der Rolling Stones im Zürcher Hallenstadion.
Ob ein Objekt in die Schatzkammer der Kulturgüter aufgenommen wird, hängt von seiner Relevanz für die Schweizer Kulturgeschichte ab. Und es ist klar, dass die Menge an bedeutsamen Relikten, Körpern und Gegenständen mit den Jahren stetig zunimmt und der Platz knapp wird. Aus diesem Grund will der Bund nun in den Ausbau des Sammlungszentrums investieren.
Aus mehreren Standorten wurde ein zentrales Lager
Seinen Ursprung hatte das Kulturdepot im letzten Jahrhundert im Knonaueramt im Kanton Zürich. Anfänglich waren alle Kunstobjekte im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich untergebracht, der Platz wurde dort allerdings knapp. Dies hatte nicht nur damit zu tun, dass sich über die Jahre immer mehr Gegenstände ansammelten, sondern auch mit neuen Ausstellungsformen des Museums. Die Räume sollten leerer, mit weniger Objekten gestaltet werden.
Das Landesmuseum lagerte seine Bestände daher in externe Lager aus, in den 1990er-Jahren etwa waren es rund acht Depots an unterschiedlichen Standorten in Zürich. Aber auch diese Lagerräume entsprachen immer weniger den Bedürfnissen des Museums. Es fehlte am Überblick über die Bestände, zudem entstanden hohe Mietkosten.
Um Platz zu schaffen und um eine Lagerung zu gewährleisten, die für Kulturgüter angemessen ist, baute der Bund dann zwischen 2005 und 2007 das alte Zeughaus in Affoltern am Albis um.
Das Sammlungszentrum übernahm in der Folge nicht nur die Depotfunktion für das Landesmuseum, sondern mit der Gründung des Schweizerischen Nationalmuseums auch diejenige für das Schloss Prangins im Kanton Waadt und das Forum Schweizer Geschichte Schwyz.
Ein weiterer Trakt für 90 Millionen
Bis heute vereint das Gebäude in Affoltern am Albis alle wichtigen Bereiche der Kunstobjektlagerung unter einem Dach. Die Wege im Sammlungszentrum sind teilweise so weit, dass Mitarbeitende Trottinette verwenden, um von A nach B zu gelangen.
Mit seinen drei parallel zueinander ausgerichteten Trakten vereint es Aufbewahrung, Konservation, Restauration und Administration. Durch die Zusammenführung dieser Fachbereiche konnten die Abläufe und Prozesse innerhalb des Sammlungszentrums professionalisiert werden.
Nun soll also das Depot des Schweizerischen Nationalmuseums um einen Trakt erweitert werden – für insgesamt 90 Millionen Franken. Es sei schlicht mehr Platz nötig, sagt der Leiter des Sammlungszentrums, Roman Aebersold. Denn: Wurde ein Stück einmal als erhaltenswert beurteilt, bleibt es im Sammlungszentrum. Ausmisten: fast unmöglich.
«Einzelne Objekte aus der Sammlung zu entlassen ist ein schwieriger Prozess, ist ein politischer Prozess und geht bis zum Bundesrat», so Aebersold. «Und weiter ist es schwierig, weil wir nicht wissen, was in 50, was in 150 Jahren relevant ist. Das können wir nicht wissen. Es ist sehr schwierig zu entscheiden, was unsere zukünftige Generation für Sammlerobjekte oder Informationen benötigt.»
Wie wird heute entschieden, ob ein Stück relevant ist oder nicht? Und ob es in die Sammlung aufgenommen wird? «Im Grundsatz geht es hier um die Frage nach der Relevanz für die Schweizer Kulturgeschichte», sagt Aebersold. Und dann gäbe es natürlich auch ganz praktische Entscheidungsfaktoren. «Einen Jumbo-Jet können wir hier nicht unterbringen.»
Jedes Objekt hat seine Geschichte. Das Sammlungszentrum ist das materielle Gedächtnis der Schweiz.
So sind es letztlich allerlei Dinge, die im Sammlungszentrum in Affoltern am Albis landen. Waffen wie etwa Hellebarden aus dem Mittelalter sind genauso Teil des Kunstarchivs wie Gemälde, Tierpräparate, Leuchtreklamen oder ein Tennisschläger von Roger Federer, mit dem er den Final der Australian Open bestritten hatte.
Auch der Schweizer Bundesrat ist prominent vertreten. So wurde jüngst der Hut von Alain Berset, den er während der Corona-Pandemie getragen hatte, Teil der Sammlung. «Es gibt auch einen alten Wecker von Eveline Widmer-Schlumpf, den sie im Büro hatte und der immer geklingelt hat, wenn die Sitzungen fertig waren», erklärt Aebersold. Jedes Objekt habe seine Geschichte. Das Sammlungszentrum sei das materielle Gedächtnis der Schweiz.
Sicherer als es aussieht
Es handelt sich um eine schweizweit einmalige Sammlung; eine Sammlung von unschätzbarem Wert. Damit alle Gegenstände gut erhalten bleiben, scheint kein Sonnenstrahl ins Depot. Die Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden stabil gehalten. Überall verteilt stehen kleine Insektenfallen.
Geschützt werden die Kulturgüter auch vor Diebstahl, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist. «Ich kann jetzt hier natürlich nicht alles sagen, aber es gibt entsprechende Massnahmen. Alarmanlagen zum Beispiel und auch das Bundesamt für Polizei Fedpol ist involviert.»
Es arbeite eine ganze Maschinerie im Hintergrund, führt Aebersold weiter aus. «Das Gebäude sieht zwar harmlos aus, aber es hat doch den einen oder anderen Trick in Sachen Sicherheit zu bieten.»
Ende Jahr entscheidet das Parlament
So gut die Sicherheit auch gewährleistet ist, sieht Aebersold im Bau aus dem Jahr 2007 doch Verbesserungspotenzial. Gerade die Anlieferung sei schwierig. Diese könne nur bei schönem Wetter stattfinden, weil eine Überdachung fehle. Und weil auch der Platz langsam knapp wird, soll nun ein Erweiterungsbau die Probleme lösen.
«Unsere Sammlung ist am Wachsen», sagt Aebersold. Ein weiteres Gebäude würde nicht nur mehr Raum für die Aufbewahrung schaffen, sondern auch mehr Platz für die Untersuchung und die Bewirtschaftung der Objekte liefern.
Der Bundesrat hat für den Erweiterungsbau einen Kredit in der Höhe von gut 92 Millionen Franken vorgesehen. Ob das Sammlungszentrum in Affoltern am Albis aber tatsächlich um einen Trakt erweitert wird, entscheidet das Parlament – voraussichtlich Ende Jahr. Die Chancen, dass National- und Ständerat den Kredit bewilligen, stehen jedenfalls gut.