Das Wetter macht es den Walliser Aprikosen in letzter Zeit nicht immer einfach. Erst vor zwei Jahren führte der Frost zu einem noch nie dagewesenen Ernteausfall. Über 80 Prozent der Erträge fielen weg.
In diesem Jahr sind es der nasse Frühling und der Hagel im Juli, die den Produzentinnen und Produzenten zu schaffen machen. Statt über 8000 Tonnen gibt es in diesem Jahr knapp 5000 Tonnen Aprikosen aus dem Wallis. Das war nicht immer so. Im Sommer 1953 gab es so viele Früchte, dass sie an den Bäumen verfaulten.
Vor genau 70 Jahren bekamen die Aprikosenbauern die Weisung, keine Früchte zu ernten – der Handel mit Aprikosen wurde eingestellt. «Die Familien, die das zum Leben brauchten, waren blockiert», erinnert sich ein Zeitzeuge über die Situation Anfang August 1953.
Lebensgrundlage verloren
Es kam zur Revolte: Rund um das Walliser Dorf Saxon blockierten über 4000 wütende Menschen die Bahnlinie Mailand-Genf und steckten SBB-Waggons in Brand.
Von einem Moment zum anderen wurde ihnen die Lebensgrundlage entzogen.
«Es war die grösste Katastrophe, die man sich vorstellen kann», sagt der Walliser Historiker Werner Bellwald über die Situation der Bauern. «Das Wallis wurde als Obstgarten der Schweiz gefeiert und von einem Moment auf den anderen wurde ihnen die Lebensgrundlage entzogen.» Doch wie ist es so weit gekommen?
Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs rief die Schweizer Landesregierung die Bauern auf, nicht mehr nur für sich selbst Gemüse und Früchte anzubauen, sondern Monokulturen zu pflanzen. Von Jahr zu Jahr wurden dabei auch mehr Aprikosen produziert – 1952 waren es 4000 Tonnen, 1953 6000 Tonnen.
Doch je weiter das Kriegsende zurücklag, desto mehr wurden wieder Waren aus dem Ausland importiert – billige Früchte aus Italien und Spanien. Die Landesregierung war zwar daran, landwirtschaftliche Produkt aus dem Inland zu schützen und ausländische Produkte mit Zöllen zu belegen.
Aprikosensaison im Ausland früher
Doch als die Importbeschränkungen in Kraft traten, war es bereits zu spät. «Man hat nicht rechtzeitig gesehen, dass das in eine Sackgasse führt», sagt Werner Bellwald. Die Lager in der Schweiz waren bereits voll mit Aprikosen aus Italien, die früher reif waren. Die Bauern im Wallis durften also nicht mehr ernten und die Wut entlud sich.
Es sei nicht nur eine Wut gegen die Importe aus dem Ausland gewesen. «Sondern auch eine Wut gegen die Regierung in Sitten, aber auch jene in Bern, die sich geweigert hat, schnell Massnahmen zu treffen.»
Revolution gegen die Obrigkeiten
«Demonstranten überrennen den Bahnhof, errichten Barrikaden. Frauen und Kinder legen sie auf die Bahnschienen. Jungbauern stecken italienische Früchtekörbe in Brand, das Feuer greift auf Güterwagen über», heisst es in einem Bericht von Radio DRS über diese Aprikosenrevolte in Saxon.
Bis die Politik reagiert hätte, wären die Leute dreimal verhungert.
«Sie hatten keine andere Möglichkeit, als kurzfristig zu Gewalt zu greifen. Bis die Politik reagiert, vergehen Jahre, da sind die Leute dreimal verhungert», so der Historiker.
Die Aprikosenrevolte wurde mit grossen Augen aus der ganzen Schweiz verfolgt. Der Aufstand könne ausarten, wurde befürchtet. Und doch gab es ein gewisses Verständnis, ja sogar eine Solidarität mit den Walliser Bauern – was schlussendlich auch beste Werbung für die Walliser Aprikosen war. Sogar der Bundesrat rief dazu auf, die orange Frucht aus dem Wallis zu kaufen. Seither hat der Konsum von Walliser Aprikosen Jahr für Jahr zugenommen.