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Die «klimapositive Schweiz» Grüne Vision oder Hirngespinst?

Ölheizungen und CO2-Schleudern ade: Bis 2030 soll die Schweiz liefern – und danach die Pariser Klimaziele übertreffen.

Das Pariser Klimaabkommen gibt das grundsätzliche Ziel vor: Das Klima soll sich um maximal 1.5 Grad erwärmen. Um das zu erreichen, dürfen die Länder weltweit ab 2050 kein zusätzliches CO2 mehr in die Luft lassen. Auch der Bundesrat hat sich dieses Netto-Null-Ziel für 2050 auf die Fahne geschrieben.

Doch das sei zu spät, sagt der Grüne Nationalrat Bastien Girod: «Wenn die Welt bis 2050 Netto-Null erreichen soll, können wir Schweizer nicht warten bis dahin. Wir müssen mindestens zehn Jahre vorher aufzeigen, wie das möglich ist und mit Wohlstand verbunden werden kann.»

Virtuelle Lancieriung des Klimaplans
Legende: SP und Grünliberale hatten bereits vor einem Jahr ausführliche Klimakonzepte, die Grünen nur ein Klima-Manifest. Jetzt lancieren sie – Corona-konform – einen Klimaplan mit einem neuen Ziel: der «klimapositiven Schweiz». Keystone

Ab 2040 also kein zusätzliches CO2 mehr in die Luft – was das bedeutet, erklärt Nationalrat Kurt Egger mit einem Beispiel: «Wenn wir das erreichen wollen, dürfen ab 2030 keine fossilen Heizungen mehr installiert werden. Zudem müssen die Gebäudesanierungen vollzogen worden sein.»

Eggers Parteikollege Girod sagt mit Blick auf den Verkehr: «Wir sagen, dass es ab 2030 keine Neuwagen mehr geben soll, die CO2 ausstossen. Das ist durchaus realistisch.»

Grüne ziehen Klimaschraube an

Das sind zwei Beispiele. Grundsätzlich sagen die Grünen: Neben dem revidierten CO2-Gesetz braucht es weitere Vorschriften und vor allem ein zusätzliches Impulsprogramm für neue Investitionen, für Gebäudesanierungen oder die Elektromobilität.

Das sind aus meiner Sicht absurde Träumereien.
Autor: Damian Müller Ständerat (FDP/LU)

Die Reaktionen fallen kontrovers aus. So sagt FDP-Ständerat Damian Müller: «Das sind aus meiner Sicht absurde Träumereien. Mit dem CO2-Gesetz wollen wir diese Ziele Schritt für Schritt bis 2050 erreichen. Alles andere hiesse mehr Druck und würde der Gesellschaft und Wirtschaft noch mehr Kosten aufbürden.»

Anders Beat Jans. Der Klimaexperte der SP begrüsst die Vorschläge der Grünen. Diese präsentierten nun ähnliche Ideen wie die SP bereits vor einem Jahr. Aber bei der Frage, wie die zusätzlichen Investitionen zu finanzieren seien, gebe es einen wichtigen Unterschied.

«Die Grünen möchten die staatliche Unterstützung praktisch ausschliesslich über Energiepreise finanzieren. Das ist aus unserer Sicht nicht ideal. Das kann für untere Einkommensschichten zu teuer werden», sagt Jans. Deshalb schlage die SP andere Finanzierungsmodelle vor. Konkret eine Finanzierung über Steuern, da trügen die Reichen die Hauptlast.

Was kommt nach Netto-Null?

Aber die Grünen denken weiter. Sie wollen künftig auch die Emissionen in den Blick nehmen, welche Schweizer im Ausland verursachen. Und sie fragen sich auch, was kommt, wenn die Schweiz das Netto-Ziel dereinst erreicht hat. Dann müsse die Schweiz das bisher in die Atmosphäre gelassene CO2 wieder aus der Luft holen und zum Beispiel unter der Erde deponieren.

Das sei mit neuen Technologien möglich, sagt Girod: «Das sind die Optionen, die wir weiter entwickeln müssen. Sie sollen uns zu denken geben, damit wir nicht leichtsinnig CO2 in die Luft lassen. Denn schon jetzt haben wir zu viel davon in der Luft und werden es wieder rausholen müssen.» Die Grünen nennen das eine klimapositive Schweiz – das ist ihre Vision.

Wie realistisch sind die Ziele der Grünen?

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Für SRF-Wissenschaftsredaktor Thomas Häusler ist klar: «Die Ziele der Grünen sind sehr ambitiös, vor allem auch klimapolitisch.» Technologisch sei die Schweiz zwar in einigen Bereichen gut aufgestellt. Das Hauptproblem sieht Häusler aber in der Geschwindigkeit, die nötig wäre, um den Plan der Grünen umzusetzen. «Dazu bräuchten wir sehr schnell sehr viel Strom aus der Sonne – fürs Heizen unserer Häuser, Elektroautos und einiges mehr.» Ohne politische Rahmenbedigungen wie Fördergelder sei das Tempo nicht zu schaffen.

Dazu kommen technologische Hürden, in erster Linie wohl beim Flugverkehr: «Es würde synthetisches Flugbenzin brauchen, das ebenfalls mit erneuerbaren Energien hergestellt werden müsste.» Auch die Wasserstoff-Technologie müsste weiter vorangetrieben werden, so Häusler. Und bei all diesen Entwicklungen sei die Schweiz auf die Zusammenarbeit mit dem Ausland angewiesen. «Flugzeuge und Lastwagen beispielsweise werden ja nicht in der Schweiz gebaut.» Häuslers Fazit: Insgesamt gebe es viele und grosse Baustellen bis zur klimapositiven Schweiz.

Echo der Zeit vom 05.08.2020, 18 Uhr

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