Es ist ein Lichtblick bei trübem Regenwetter in St. Gallen, wo Mattea Meyer Unterschriften für die SP-Kita-Initiative sammelt: Eine Passantin bittet die Co-Präsidentin um ein Selfie. Oft komme das nicht vor, sagt Meyer. Aber: «Es ist immer ein wahnsinnig schönes Gefühl, zu merken, dass man auch Leute begeistern kann, die SP zu unterstützen.»
Das positive Feedback auf der Strasse tut ihr gut, weil es für die SP im Moment so gar nicht läuft. Bei Abstimmungen gibt es zwar zwischendurch Erfolge, wie beispielsweise im Februar bei der Stempelabgabe. Aber bei kantonalen Wahlen reiht sich Niederlage an Niederlage. Seit den eidgenössischen Wahlen 2019 haben die Sozialdemokraten in 16 Kantonen so viele Parlamentsmandate verloren wie keine andere Partei: minus 45. In der gleichen Zeit haben die Grünen 48 Sitze gewonnen.
Portemonnaie der Menschen im Auge behalten
Die SP sei in Sachen Umweltpolitik in einer schwierigen Position, erklärt Politologie-Professorin Silja Häusermann von der Universität Zürich. Mit ihrem Team arbeitet sie an einem Buch über die Schweizer Sozialdemokratie, das nächsten Herbst erscheint. Um mit dem Umweltthema mehr Wählende anzusprechen, müsse die SP die sozialen Aspekte im Blick behalten. «Die SP muss konkrete Vorschläge machen, wie man eine Klimawende ausgestaltet, die nach Einkommen abgefedert werden kann.»
Die SP muss konkrete Vorschläge machen, wie man eine Klimawende ausgestaltet, die nach Einkommen abgefedert werden kann.
Die SP versucht es mit der Klimafonds-Initiative, jährlich sollen sieben Milliarden Franken in den Ausstieg aus fossilen Energien fliessen. Soziale Folgen würden abgemildert – zum Beispiel mit Umschulungen für jene, deren Jobs durch den ökologischen Umbau verloren gehen.
Doch für die Initiative spannt die SP ausgerechnet mit der grünen Konkurrenz zusammen. Es gehe um die Sache, sagt Mattea Meyer. «Ich bin vor 15 Jahren politisch aktiv geworden, weil ich etwas verändern will und nicht, um Parteigeplänkel und Taktiererei zu betreiben.»
Themenführerschaft in der Europafrage verloren
Die SP hat aber noch andere thematische Probleme, zum Beispiel die Europafrage. Laut Politologin Häusermann besteht die Gefahr, dass die Partei die Themenkompetenz in diesem Bereich verspielt.
«Noch bis etwa vor zehn Jahren war die Einstellung zur Europapolitik ein entscheidender Faktor, ob jemand im linken Lager SP oder grün gewählt hat. Die Europapolitik hat der SP wirklich einen Vorteil verschafft gegenüber den Grünen. Inzwischen sehen wir den Unterschied in unseren Daten nicht mehr so klar.»
Deutsche SPD stimmt Meyer optimistisch
Nach der Sammelaktion auf der Strasse trifft SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer in St. Gallen die Leitung der Kantonalpartei und skizziert die Pläne für den Nationalratswahlkampf.
Die SPD wurde totgeschrieben und regiert jetzt Deutschland an erster Stelle mit.
Ein Wahlkampf, dem Meyer trotz allem optimistisch entgegenblickt. Auch wegen der deutschen SPD. «Sie wurde totgeschrieben und regiert jetzt Deutschland an erster Stelle mit. Geschafft hat sie es mit einem sozialen Programm, der Forderung nach Mindestlöhnen oder Rentensicherheit», sagt Mattea Meyer.