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Drag-Lesung in Zürich «Kinder werden durch solche Anlässe nicht verdorben»

Am Samstag fand in Zürich die Drag Story Time statt – eine Veranstaltung, bei der Drag-Performer*innen für Kinder aus Büchern vortragen. Rechte Kreise hatten zuvor auf Social-Media-Plattformen zu Widerstand gegen den Anlass aufgerufen. Dieser konnte dann ohne Störaktionen durchgeführt werden, nur wenige Gegendemonstranten waren vor Ort. Solche Vorlesenachmittage für Kinder finden in Zürich seit mehreren Jahren statt. Im Herbst 2022 gerieten die Anlässe erstmals in den Fokus, als Neonazis der «Jungen Tat» einen Anlass im Tanzhaus störten.

An der Sekundarschule Stäfa (ZH) wurde der Gendertag unter anderem nach massiven Drohungen abgesagt. Zwei Anlässe also in Zusammenhang mit Kindern von vielen, welche gewissen Kreisen ein Dorn im Auge sind. Doch was bedeuteten solche Anlässe für die Kinder überhaupt? Antworten eines Kinderpsychologen.

Philipp Ramming

Psychologe

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Ramming ist Fachpsychologe für Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie und Mitglied der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP).

SRF News: Hat sich etwas daran geändert, wie Kinder heutzutage aufwachsen?

Philipp Ramming: Heutzutage haben es die Kinder mit einer deutlich grösseren Vielzahl von Dingen zu tun, mit welchen sie sich auseinandersetzen müssen. Für manche ist dies komplizierter, für andere spannender. Es ist für die Kinder nicht mehr so einfach, ihren eigenen Weg zu finden; die Vielzahl bei den Lebensentwürfen ist bedeutend grösser.

Grundsätzlich begrüsse ich die Idee, den Kindern diesen Kontakt zu ermöglichen und ihnen Dinge zu zeigen.

Wie reif und aufgeklärt sind Kinder in der heutigen Zeit?

Kinder werden mehr stimuliert und angeregt, sich mit etwas zu beschäftigen. Einerseits wissen die Kinder mehr, andererseits ist es schwierig für sie, etwas auszuwählen und sich festzulegen. Die Pubertätsentwicklung dauert länger und damit hergehend die Jugendzeit.

Drag-Queen-Lesung verläuft ohne Störaktionen

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Die Zürcher Drag-Queen-Vorlesestunde für Kinder hat ohne Störaktionen durchgeführt werden können. Mit Konfetti-Regen, Seifenblasen und bunt bemalten Trottoirs drückten schon vor Beginn der Vorlesestunde über 100 Sympathisantinnen und Sympathisanten ihre Unterstützung für den Drag-Queen-Anlass aus.

Auch Gegendemonstranten versammelten sich vor der Bibliothek in Oerlikon, allerdings waren sie deutlich in der Unterzahl. Sie wehrten sich dagegen, Kinder der «Transgender-Ideologie» auszusetzen. Anwesend war auch ein einziger Freiheitstrychler, der mit einem Pfeifkonzert begrüsst wurde. Die Stadtpolizei bewilligte die Kundgebung der Gegner nicht, weil diese das Gesuch zu spät eingereicht hatten.

Die Stadtpolizei war mit einem Grossaufgebot präsent, musste aber nicht eingreifen.

Wie denken Sie über die «Drag Story Time»-Lesung?

Der Anlass ist einer von vielen. Wenn die Menschen an einem solchen Anlass Spass haben, ist doch alles okay. Die Veranstalter werben mit: ‹Im Mittelpunkt der Veranstaltung steht die Schaffung eines generations-, identitäts- und migrationsübergreifenden Erlebnisses›. Da bin ich eher skeptisch, wie man das den Kindern in 90 Minuten alles vermitteln möchte. Aber grundsätzlich begrüsse ich die Idee, den Kindern diesen Kontakt zu ermöglichen und ihnen Dinge zu zeigen und zu erklären. Die Vielfalt in unserer Gesellschaft soll respektiert werden.

Dragqueen.
Legende: «‹Drag Story Time› ist ein spielerisches Programm für Kinder im Alter von 3 bis 8 Jahren, das 2019 von der Aktivistin und Pädagogin Brandy Butler entwickelt wurde»: So werben die Veranstalter für die Lesung am Samstag. (Bild: Dragqueen in Australien) Keystone/DAN HIMBRECHTS

Ich finde es schwierig, wenn auf Kinder Zwang ausgeübt wird. Dies ist für sie nicht zielführend. Man sollte den Kindern die Dinge besser erklären. In diesem Fall also: Diese verkleidete Person fühlt sich wohl, solche Personen gibt es auch, etc.

Die Offenheit der Kinder hängt von der Offenheit der Eltern ab.

Ab welchem Alter sollten Kinder solche Veranstaltungen besuchen?

Diese ganze Diskussion ist stark ideologisch geprägt. Kleine Kinder sollen sich selber Meinungen bilden können und man muss sie nicht vor solchen Anlässen schützen. Kinder müssen vor Übergriffen aller Art geschützt werden, aber nicht vor solchen Anlässen. Zusammen ein Buch zu lesen, ist kein Übergriff. Die Kinder sollen sich mit gesellschaftlichen Rollenbildern auseinandersetzen.

Was empfehlen Sie Eltern in Zusammenhang mit solchen Anlässen?

Die Offenheit der Kinder hängt von der Offenheit der Eltern ab. Kinder werden durch solche Anlässe nicht verdorben. Wichtig ist es, das Gespräch mit ihnen zu suchen. Kinder sehen im Alltag extrem viele Dinge; man muss ihnen helfen, diese zu integrieren und zu verstehen.

Das Gespräch führte Benjamin Hostettler.

SRF 4 News, 19.5.2023, 16:00 Uhr ; 

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