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Drei Jahre MEI «Andere Staaten beneiden uns um den Inländervorrang»

Vor rund drei Jahren sagte die Stimmbevölkerung Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative (MEI). Ein Umsetzungs-Vorschlag liegt nun auf dem Tisch, der aber keine Höchstzahlen und Kontingente vorsieht. Wie zufrieden ist Bundesrätin Simonetta Sommaruga mit dem Resultat?

SRF News: Vor gut drei Jahren hat das Stimmvolk Ja gesagt zu einer gesteuerten Zuwanderung mit Höchstzahlen und Kontingenten. Der Vorschlag, der nun auf dem Tisch liegt, sieht dies nicht vor. Man kann also sagen: Auftrag nicht erfüllt. Das muss Ihnen als zuständige Bundesrätin doch zu denken geben?

Simonetta Sommaruga: Es ist in der Tat so, dass das Gesetz, das vom Parlament verabschiedet worden ist, die Masseneinwanderungs-Initiative [MEI] nicht vollständig umsetzt. Wenn man die Ausgangslage anschaut: Die Initiative verlangte fixe Höchstzahlen für europäische Arbeitskräfte, gleichzeitig aber die Fortführung des bilaterale Wegs – und das ging nicht zusammen. In diesem Dilemma hat das Parlament jetzt einen Entscheid für den bilateralen Weg gesetzt.

Im Moment haben wir eine ziemlich zahnlose Umsetzung dieses Zuwanderungsartikels. Sind Sie damit tatsächlich zufrieden?

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Immerhin kann man sagen, mit dem Inländervorrang, den das Parlament entschieden hat, wird ein Kernanliegen der Initiative aufgenommen. Es gibt Leute in Brüssel, die gar keine Freude daran haben. Andere Staaten beneiden uns schon darum. Aber es ist klar: Die Masseneinwanderungs-Initiative hat dieses Dilemma gebracht und das Parlament musste einen Entscheid fällen.

Die grosse europapolitische Frage ist aber nach wie vor ungeklärt. Was ist dem Schweizer Stimmvolk wichtiger? Die Bilateralen oder die strikte Umsetzung des Verfassungsartikels?

Das Problem war, dass die MEI diesbezüglich nie klar Stellung genommen hat. Sie hat nämlich nicht die Kündigung verlangt, falls man mit der EU keine Verhandlungen führen kann oder zu keinem Abschlussh kommt. Denn die MEI ist keine Kündigungs-Initiative. Dieses Dilemma hat in den drei Jahren auch für ziemlich viel Unruhe und Verwirrung gesorgt. Folglich musste man in diesem Widerspruch versuchen, eine Lösung zu finden. Das Parlament hat einen Schritt gemacht Richtung Inländervorrang und das ist jetzt so entschieden.

Was ist eigentlich genau die Strategie des Bundesrats?

Der Bundesrat hat den Verfassungsauftrag sehr ernst genommen und hat deshalb als erstes Verhandlungen mit der EU aufgenommen. Das war im ersten Jahr gar nicht möglich, nicht einmal ein Gespräch. Im zweiten Jahr sind wir weitergekommen, aber dann hat uns die Brexit-Abstimmung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Da war keine Lösung mit der EU mehr möglich und deshalb musste man dann auf eine inländische Umsetzung setzen.

Sie haben jetzt drei Jahre Irrungen und Wirrungen hautnah miterlebt. Hand aufs Herz: Gibt es Punkte, bei denen Sie denken: Das hätte man anders oder besser machen können?

Ich denke, es war schwierig, der Bevölkerung vor der Abstimmung über die MEI aufzuzeigen, welches Dilemma diese Initiative in sich birgt. Es ist dem Bundesrat und den Mitgliedern des Parlaments offenbar nicht gelungen, aufzuzeigen, dass diese Initiative unser Land in eine Phase von grosser Unsicherheit stürzt. Das war in den letzten drei Jahren auch so. Ich glaube, mit dem Entscheid des Parlamentes ist man einen Schritt weiter gekommen. Aber es gibt weiteren europapolitischen Klärungsbedarf und auf diesem Weg müssen wir jetzt weitergehen.

Sehen Sie ein Ende der Diskussion in absehbarer Nähe?

Was ganz klar ist, dass zu einer europapolitischen Frage – und die wird sich bestimmt wieder stellen – die Bevölkerung das letzte Wort hat: Ob das jetzt beim Referendum gegen das Umsetzungs-Gesetz ist, bei der Rasa-Initiative oder dem Gegenvorschlag und auch bei der Kündigungsinitiative der SVP.

Das Gespräch führte Nicole Frank.

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