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Dritte Corona-Welle «Variante aus Grossbritannien hat sich exponentiell ausgebreitet»

Trotz steigender Fallzahlen sind die Intensivbetten weniger ausgelastet und die Situation deshalb weniger prekär in den Spitälern. Wie erklärt sich dies die Mathematikerin und Biostatistikerin Tanja Stadler von der ETH Zürich?

Tanja Stadler

ETH-Professorin am Departement für Biosysteme

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Die Mathematikerin Tanja Stadler ist Professorin am Departement für Biosystems Science und Engineering an der ETH. Sie entwickelt Methoden, um die Ausbreitung von Virus-Epidemien zu berechnen.

SRF News: Kann man hoffnungsvoll feststellen: Wir stehen in der dritten Welle besser da als in den zwei vorherigen?

Tanja Stadler: Was man in der Tat sagen kann: Die Impfungen wirken. Denn in der Gruppe der über 75-Jährigen, in der wirklich viel geimpft wird, sinken alle Zahlen inklusive der neuen Hospitalisierungen. Jetzt kommt das Aber: In den anderen Altersklassen sehen wir, dass die Zahlen steigen. Zum Beispiel bei den Personen um die 60 Jahre, da nehmen die Hospitalisierungen zu. Und das ist ein Grund zur Beunruhigung. Denn das sind genau die Personen, die vermehrt in den ersten beiden Wellen auf den Intensivstationen lagen.

Gut 1.3 Millionen Impfdosen wurden bereits verabreicht. Wird genügend schnell geimpft?

Es ist tatsächlich so ein Wettrennen. Wir haben die Impfungen. Die schützen extrem gut. Die älteste Gruppe unter uns ist geimpft und es hilft. Aber wir müssen die ganze Bevölkerung durchimpfen. Dem gegenüber steht das Virus, das sich extrem gut ausbreitet.

Die Fallzahlen sind immer noch sehr wichtig und zentral.

Wie gross ist die Unsicherheit betreffend der neuen Mutationen?

Die neue Variante aus Grossbritannien, die im Endeffekt bei uns in der Schweiz die Epidemie beherrscht, hat sich seit Januar exponentiell ausgebreitet. Wir haben eine Verdoppelung rund alle drei Wochen. Im Januar sind die Fallzahlen gesunken, denn diese Variante war nur noch zu fünf Prozent vorherrschend und alle anderen Varianten sind weniger übertragbar. Jetzt ist die britische Variante dominant.

Der Bund hat vier Kriterien definiert, welche unter den Richtwerten bleiben müssen, um Verschärfungen zu vermeiden. Jetzt könnte man sagen: Die Fallzahlen sind gar nicht so wichtig, wie man uns immer einbläut?

Ich sehe die Fallzahlen immer noch als sehr wichtig an. Die Zahlen hinken einfach hinterher. Wir wissen nicht, wer Risikopatient ist und wer nicht. Ganz genau können wir die Leute nicht impfen. Wir haben alle ein Risiko, das heisst: Die Fallzahlen sind immer noch sehr zentral.

Könnte man nicht sogar lockern, oder die Fallzahlen vernachlässigen?

Wenn die Fallzahlen steigen, dann ist der R-Wert über eins. Das heisst, es besteht bereits eine Interaktion. Und wenn die Fallzahlen steigen, werden auch viele Personen infiziert werden, die noch nicht geimpft sind. Dementsprechend werden dann auch die Spitaleintritte steigen.

Wir sind als Gesellschaft ermüdet.

Wo stehen wir Ihrer Meinung nach am Anfang der dritten Welle? Wenn das Ganze ein Marathon wäre, wo stünden wir?

Für mich fühlt es sich an wie der Kilometer 30, der so schwierig ist. Wir haben extrem viel geschafft und zwei Wellen hinter uns. Wir sind einfach k.o. und die Gesellschaft ist ermüdet. Aber es ist noch ein Stück und jetzt müssen wir noch einfach durchbeissen und Kontakte minimieren, bis wir alle diese Impfung bekommen. So können wir uns vor diesem Virus schützen.

Das Gespräch führte Urs Gredig.

10vor10, 29.03.21; 21:50 Uhr ; 

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