Bei einem Auffahrunfall krachte 2017 ein Auto in das Fahrzeug von Enrico und Marlise R. Beide erlitten Verletzungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule. Geblieben sind diffuse Schmerzen und neurologische Auswirkungen. «Ich habe Aussetzer und Mühe mit dem Gedächtnis», sagt Enrico R. Seine Frau Marlise klagt über Schmerzen, die «vom Nacken in den Körper ausstrahlen».
18'000 Franken für die Katz
Anfang 2019 sehen sie in der Esoteriksendung «Time to do» auf «Schweiz 5», wie der deutsche Neurologe, Psychiater und Akupunkteur Ulrich Werth hoffnungslose Fälle heilt. Deshalb reisen sie nach Valencia und lassen sich von Werth behandeln. Dieser setzt in jedes Ohr hundert 1,2 Millimeter lange, Titannadeln. Für die halbstündige Behandlung, inklusive Voruntersuchung und Nachkontrolle, bezahlen sie 18'000 Franken.
Eine Besserung trat nicht ein. Deshalb will das Ehepaar die Nadel wieder loswerden. Doch dazu wäre eine grössere Operation nötig, die die Ohren wahrscheinlich verunstalten würde.
Er missbraucht das Wort Akupunktur. Wahrscheinlich, um seinem Verfahren mehr Anerkennung zu verleihen.
Expertin warnt vor Behandlung
Für Claudia Witt, eine der führenden Akupunkturspezialistinnen, macht diese Behandlung «überhaupt keinen Sinn». Mit Akupunktur habe dies gar nichts zu tun, sagt die Professorin vom Institut für komplementäre und integrative Medizin des Universitätsspitals Zürich: «Er missbraucht das Wort Akupunktur. Wahrscheinlich, um seinem Verfahren mehr Anerkennung zu verleihen, und damit es nicht so unseriös wirkt, wie es wirklich ist.»
Die Professorin warnt vor dieser Behandlung: «Das Ohr ist empfindlich. Wenn sich eine Infektion bildet, heilt diese nicht gut, weil das Ohr schlecht durchblutet ist.»
Service
Der Esoterik-Arzt Ulrich Werth ist häufiger Gast in Talk-Sendungen auf Esoterik-Kanälen und trat auch schon als Referent bei einer Gesundheitsmesse in Chur auf. Dort behauptete er, er könne unheilbare Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer heilen: «Alzheimer sehr effektiv in vierundzwanzig Stunden.» Zudem sagte Werth, er habe «5000 Patienten geheilt».
Verurteilter Betrüger
Bei diesen Auftritten gibt sich Werth auch als Menschenfreund. Tatsächlich ist er in Deutschland aber wegen Körperverletzung und Verstosses gegen das Medizinproduktegesetz verurteilt. Zudem wurde ihm in 700 Fällen gewerbsmässiger Betrug vorgeworfen. Schadenssumme: 4,4 Millionen Euro. Seit 2006 darf er in Deutschland nicht mehr als Arzt praktizieren: Aufgrund mehrerer Strafbefehle wurde die «Unwürdigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes» festgestellt.
Ulrich Werth wollte in St. Gallen eine Praxis eröffnen. Ein befreundeter Esoterik-Arzt hatte ihm dazu extra eine Briefkasten-Adresse verschafft. Doch die kantonale Gesundheitsbehörde verweigerte ihm die Berufsausübungsbewilligung. Gegenüber «Kassensturz» will Ulrich Werth keine Stellung nehmen. «Kassensturz» weiss: Ulrich Werth ist nach wie vor aktiv.
Kassensturz, 25.02.2020, 21.05 Uhr