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Durchsetzungs-Initiative EU hofft auf «Zeichen des guten Willens»

Ein Argument, das die Gegner der Durchsetzungsinitiative oft ins Feld führen: Sie verstosse gegen die Personenfreizügigkeit. Zurücknehmen müssen die EU-Länder ihre Bürger aber dennoch, sagt Brüssel-Korrespondent Oliver Washington.

Oliver Washington

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Porträt Oliver Washington

Oliver Washington ist seit 2003 bei SRF. Ab 2007 war er Mitglied der Inland-Redaktion, seit 2014 ist er EU-Korrespondent in Brüssel. Washington hat Soziologie, Geografie und Wirtschaftsgeschichte studiert.

SRF News: Die SVP ist der Ansicht, ein Ja zur Durchsetzungsinitiative (DSI) schaffe Sicherheit. Für die anderen Parteien verletzt sie die Grundregeln der Demokratie. Inwiefern würden diese Regeln verletzt?

Oliver Washington: Das Problem ist, dass die Schweiz mit Annahme der Initiative Personen auch bei relativ kleinen Vergehen ausschaffen müsste. Bei der bisherigen Praxis zwischen der Schweiz und der EU ist die Hürde aber viel höher. Auch heute kann die Schweiz Personen in ein EU-Land ausschaffen. Aber eine solche Person muss eine unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit sein. Damit sind schwerwiegendere Delikte gemeint als diese kleineren Vergehen.

Was wäre denn ein Beispiel für so eine Ausschaffung, welche die DSI verlangen würde, die aber gegen die bilateralen Verträge verstossen würde?

Es geht hier vor allem um Personen, die zweimal bestraft wurden. Eine Person kassiert zum Beispiel eine Geldstrafe, weil sie etwas gestohlen hat. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird sie nochmals verurteilt, vielleicht wegen einfacher Körperverletzung im Rahmen einer Schlägerei. Mit der DSI reichen zwei solche Straftaten, um jemanden auszuschaffen. Mit der Personenfreizügigkeit wäre das aber nicht möglich.

Ein Ja hätte nicht die Dimension der Masseneinwanderungsinitiative.

Könnten sich EU-Länder in dem Fall unter Verweis auf die Personenfreizügigkeit weigern, Kriminelle aus der Schweiz zurückzunehmen?

Das können sie nicht. Es gibt den völkerrechtlichen Grundsatz, dass ein Land die eigenen Staatsbürger zurücknehmen muss. Die europäischen Länder halten sich in der Regel daran. Und daneben – das ist bemerkenswert – hat die Schweiz mit allen europäischen Ländern Rückübernahmeabkommen geschlossen. Darin ist ziemlich präzise festgehalten, dass beispielsweise ein Deutscher, der in der Schweiz das Aufenthaltsrecht verliert, von Deutschland zurückgenommen werden muss.

Es gäbe also gewisse juristische Probleme. Wie sieht es auf politischer Seite aus?

Es würde ein politisches Problem geben. Dieses hätte aber meines Erachtens nicht die Dimension der Masseneinwanderungsinitiative. Ich gehe nicht davon aus, dass die EU lautstark protestieren würde, wenn die Schweiz die DSI annehmen würde.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten würden sich ja dann zu einem gewissen Grad für Kriminelle einsetzen. Zumindest würde man das in der Öffentlichkeit so wahrnehmen. Ich gehe mehr von einem Protest hinter den Kulissen am Verhandlungstisch aus. Ich rechne damit, dass die EU in diesem Fall bei den Gesprächen zur Zuwanderungsinitiative noch etwas härter auftreten würde, weil die Schweiz damit einmal mehr die Personenfreizügigkeit verletzen würde.

Ein Nein würde die Stimmung am Verhandlungstisch etwas entkrampfen.

Wie würde umgekehrt eine Ablehnung der Initiative in Brüssel ankommen?

Es würde in der EU als Zeichen des guten Willens gelesen, dass die Schweiz nicht auf totale Konfrontation mit der EU aus ist. Das würde man dann auch auf die Personenfreizügigkeit übertragen, hoffend, dass sich auch dort das Schweizer Volk bei einer zweiten Abstimmung nicht für eine total harte Haltung entscheiden würde. Ein Nein würde die Gespräche rund um die Masseneinwanderungsinitiative wohl etwas vereinfachen und die Stimmung am Verhandlungstisch etwas entkrampfen.

Das Gespräch führte Roman Fillinger.

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